Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

15.05.1997

Geschäftszahl

96/15/0101

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Mizner, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hajicek, über die Beschwerde des Dipl. Ing. Dr. techn. K in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 20. März 1996, Zl. B 92-4a/93, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Versäumung der Berufungsfrist gegen einen Bescheid betreffend Haftung für Abgabenschulden), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 4.565,-- S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Haftungsbescheid vom 8. Juli 1991 zog das Finanzamt den Beschwerdeführer gemäß den Paragraphen 9 und 80 BAO zur Haftung für aushaftende Abgabenschulden der S-GmbH im Ausmaß von rund 215.000,-- S (Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag) heran. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 9. Juli 1991 zugestellt.

Am 26. August 1991 brachte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter Berufung gegen den Haftungsbescheid ein, in welcher die Zustellung des Haftungsbescheides am 25. Juli 1991 behauptet wird. Diese Berufung wies das Finanzamt mit Bescheid vom 30. August 1991 gemäß Paragraph 273, Absatz eins, BAO als verspätet zurück und führte zur Begründung aus, daß der Haftungsbescheid nachweislich am 9. Juli 1991 übernommen worden sei.

Mit Schriftsatz vom 30. September 1991 beantragte der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter wegen der Versäumung der Frist für die Erhebung einer Berufung gegen den Haftungsbescheid die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die verspätete Berufungserhebung sei darauf zurückzuführen, daß der vom Beschwerdeführer bevollmächtigte Rechtsanwalt von der Überzeugung ausgegangen sei, der Haftungsbescheid wäre erst am 25. Juli 1991 zugestellt worden. Erstmals mit der Zustellung des Zurückweisungsbescheides (am 3. September 1991) sei dem Vertreter (Rechtsanwalt) des Beschwerdeführers das richtige Datum der Zustellung des Haftungsbescheides bekanntgeworden.

Die Fehlmeinung sei auf folgenden Vorgang zurückzuführen: Am 29. Juli 1991 sei in der Kanzlei des Rechtsanwaltes das Schreiben des Beschwerdeführers vom 25. Juli 1991 eingegangen, mit welchem der Beschwerdeführer den Haftungsbescheid samt dem Ersuchen um Einbringung einer Berufung übermittelt habe. In der Kanzlei sei der Brief von der mit der Behandlung des Briefeinganges und der Führung des Fristenvormerkes betrauten Mitarbeiterin, Frau Claudia S, geöffnet worden. Da dem Brief des Beschwerdeführers das Kuvert des Rückscheinbriefes des Finanzamtes nicht beigelegt gewesen sei und aus dem Haftungsbescheid das Datum seiner Zustellung an den Beschwerdeführer nicht zu entnehmen gewesen sei, habe Claudia S telefonisch mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufgenommen, um das Datum der Zustellung zu eruieren. Claudia S habe daraufhin auf dem Haftungsbescheid den Vermerk "eing. Do. 25.7. lt. Dr. römisch zehn (Beschwerdeführer)" angebracht. Ausgehend von diesem Zustelldatum habe sie als letzten Tag der Berufungsfrist den 25. August 1991 ermittelt und ebenfalls - und zwar unter dem Aktenwiedervorlagetag 19. August 1991 - auf dem Haftungsbescheid vermerkt. Daraufhin seien die Poststücke dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers zur Kontrolle vorgelegt worden; dieser habe die Berechnung der Berufungsfrist für richtig befunden und die vorläufige Ablage verfügt, nachdem er sich von der Eintragung des Wiedervorlagedatums und des Datums des Ablaufes der Berufungsfrist (- da der 25. August 1991 ein Sonntag ist, der nachfolgende Tag -) vergewissert habe. Mit der Zustellung des Zurückweisungsbescheides zu Handen des Rechtsanwaltes am 3. September 1991 sei seiner Kanzlei erstmals bekanntgeworden, daß die Zustellung des Haftungsbescheides vor dem 25. Juli 1991 erfolgt sei. Nach Rücksprache mit dem Beschwerdeführer habe dieser jedoch bestritten, Frau Claudia S "einen Zustelltag 25.7.1991 genannt zu haben"; nach seinen Ausführungen hätte er einen solchen auch gar nicht nennen können, weil die Zustellung tatsächlich bereits am 9. Juli erfolgt sei. Claudia S sei eine langjährige, auf den Fristenvormerk geschulte Mitarbeiterin des vom Beschwerdeführer bevollmächtigten Rechtsanwaltes; sie habe bisher die Führung des Fristenvormerkes und die Eruierung des Zustelltages in gleichartigen Fällen stets richtig erledigt, wovon sich der Rechtsanwalt durch wiederkehrende Kontrollen überzeugt habe. Der Vertreter des Beschwerdeführers habe daher keinen Grund gehabt, an der Richtigkeit des auf dem Haftungsbescheid angebrachten Vermerkes über den Zustelltag zu zweifeln. Wie sich nachträglich zeige, sei die unrichtige Annahme über den Zustelltag auf ein wechselseitiges Mißverständnis beim Telefonat zwischen dem Beschwerdeführer und Claudia S vom 29. Juli 1991 zurückzuführen: Claudia S habe vermeint, vom Beschwerdeführer den Zustelltag erfragt zu haben, während der Beschwerdeführer geglaubt habe, Claudia S frage ihn nach dem Tag, an welchem er den Haftungsbescheid an die Kanzlei des Rechtsanwaltes gesandt habe, und diesen Tag (25. Juli 1991) genannt habe. Dieses wechselseitige Mißverständnis habe bewirkt, daß der Beschwerdeführer darauf vertraut habe, sein Vertreter werde die Berufung rechtzeitig einbringen, und der Vertreter auf die Richtigkeit des am Haftungsbescheid vermerkten Zustelldatums vertraut habe. Da also die rechtzeitige Einbringung der Berufung durch ein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis (Mißverständnis über den Zustelltag) unterblieben sei, seien die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben.

Das Finanzamt wies den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet ab. Ein Irrtum über den Zeitpunkt der Zustellung sei kein unvorhergesehenes bzw unabwendbares Ereignis iSd Paragraph 308, BAO. Im übrigen hätte der große Zeitunterschied zwischen dem Ausfertigungsdatum des Haftungsbescheides und dem vermeintlichen Zustelldatum auffallen müssen.

In der Berufung gegen den Abweisungsbescheid wurde vorgebracht, es sei im gegenständlichen Fall ein Mißverständnis über den Zustelltag vorgelegen. Dieses sei ein von außen kommendes Ereignis, welches unvorhergesehen und unabwendbar sei. Im übrigen sei es im Amtsbetrieb durchaus üblich, daß zwischen der Erlassung eines Bescheides und seiner Abfertigung mehrere Wochen vergingen. Zudem übersehe das Finanzamt, daß der "Rechtsfreund des Einschreiters" davon ausgegangen sei, der Zustelltag wäre bereits hinterfragt worden; daher habe er keine Veranlassung gesehen, weitere Informationen über die Richtigkeit des Zustelltages einzuholen. Der Beschwerdeführer seinerseits habe darauf vertraut, daß sein Vertreter rechtzeitig ein Rechtsmittel ergreifen werde.

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab. In der Kanzlei des Vertreters des Beschwerdeführers hätten offensichtlich keine Kontrollen der richtigen Vormerkung von Fristen stattgefunden bzw seien die Fristen nicht mit der notwendigen Sorgfalt eingetragen und überwacht worden.

Es wurde rechtzeitig der Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer bestreite, wie sich aus seinem Schreiben vom 27. September 1991 an den bevollmächtigten Rechtsanwalt ergibt, daß er dem Rechtsanwalt den Übermittlungstermin des Finanzamtes (gemeint das Zustelldatum) bekanntgegeben habe. Der Rechtsanwalt habe der belangten Behörde mitgeteilt, er könne zum gegenständlichen Fall keine Aussagen machen, weil er diesen nie bearbeitet habe; selbständiger Sachbearbeiter sei der damalige Rechtsanwaltsanwärter Dr. K gewesen; das Fristenbuch für 1991 könne nicht mehr vorgelegt werden, weil es im Zuge einer Kanzleiübersiedlung vernichtet worden sei. Dr. K habe der belangten Behörde mitgeteilt, er habe bisher auf seine Anfrage an den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers, ob er, Dr. K, im gegenständlichen Fall von der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht entbunden sei, keine Antwort erhalten. Die belangte Behörde habe sohin keine weiteren Informationen erhalten können und daher aufgrund der Aktenlage entschieden. Sie gehe davon aus, daß in der Kanzlei des vom Beschwerdeführer bevollmächtigten Rechtsanwaltes ein Rechtsanwaltsanwärter (Dr. K) den gegenständlichen Fall bearbeitet habe. Die behauptete Überprüfung der Fristen sei sohin nicht durch den bevollmächtigten Rechtsanwalt, sondern durch einen Rechtsanwaltsanwärter erfolgt. Die Kanzleiangestellte Claudia S behaupte entgegen den Ausführungen des Beschwerdeführers, daß dieser ihr das Zustelldatum bekanntgegeben habe. Im Wiedereinsetzungsantrag werde zwar vorgebracht, Claudia S sei eine geschulte Kanzleikraft. In diesem Zusammenhang sei der belangten Behörde aber unerklärlich, aus welchen Gründen eine geschulte Kanzleikraft den 25. August 1991 (Sonntag) und nicht den 26. August 1991 (Montag) als letzten Tag der (vermeintlichen) Berufungsfrist vermerkt habe, und der "Fallbearbeiter" auch nach Kenntnis dieses Fehlers keine weiteren Überprüfungen der Richtigkeit angestellt habe. Im übrigen sei der belangten Behörde die Kontrolle der durch diese Kanzleiangestellte vorgenommenen Eintragungen im Fristenverzeichnis nicht mehr möglich, weil dieses Verzeichnis vernichtet worden sei. Die belangte Behörde könne auch nicht feststellen, wie häufig der bevollmächtigte Rechtsanwalt - und nicht ein mehr oder weniger versierter Rechtsanwaltsanwärter - die Richtigkeit der Eintragungen kontrolliert habe. Die belangte Behörde halte jedoch fest, daß niemals behauptet worden sei, der bevollmächtige Rechtsanwalt habe den Rechtsanwaltsanwärter kontrolliert. Sie gehe daher in freier Beweiswürdigung davon aus, daß die Organisation des Kanzleibetriebes des bevollmächtigen Rechtsanwaltes nicht so eingerichtet gewesen sei, daß die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Verfahrenshandlungen tatsächlich gesichert gewesen sei. Dem Vertreter des Beschwerdeführers sei daher nicht nur ein minderer Grad des Verschuldens anzulasten.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß Paragraph 308, Absatz eins, BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (Paragraphen 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Die Ausführungen der belangten Behörde betreffend die Annahme mangelnder Überwachung hinsichtlich des Fristenwesens in der Kanzlei des vom Beschwerdeführer bevollmächtigten Rechtsanwaltes gehen an der Sache vorbei. Ein Fehler in der Führung des Fristenvormerkes ist im gegenständlichen Fall nicht festgestellt worden. Es liegt auch kein für die Versäumung der Berufungsfrist relevanter Fehler vor, wenn bei der Fristenberechnung als letzter Tag der Frist ein Sonntag und nicht - entsprechend der Regelung des Paragraph 108, Absatz 3, BAO - der darauffolgende Tag ermittelt worden ist. Die kanzleiinterne Kontrolle der Rechtsanwaltsanwärter und der Kanzleiangestellten läßt entgegen der Ansicht der belangten Behörde ein Mißverständnis, welches bei der telefonischen Anfrage einer Kanzleiangestellten über das Zustelldatum beim Mandanten entsteht, nicht mit Sicherheit vermeiden. Zur Frage, ob der Rechtsanwalt das Eruieren des Zustelldatums einer Kanzleikraft überlassen darf, hat die belangte Behörde keine Überlegungen angestellt.

Im Ergebnis wurde der Beschwerdeführer aber aus folgenden Gründen durch den angefochtenen Bescheid nicht in subjektiven Rechten verletzt:

Bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist ist das Verschulden des Parteienvertreters der Partei zuzurechnen. Es kann aber auch unmittelbar eigenes Verschulden der Partei der Wiedereinsetzung entgegenstehen.

Die Wiedereinsetzung ist zu bewilligen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des Bevollmächtigten der Partei versäumt worden ist, es sei denn, es liegt ein - über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes - Verschulden auf Seite der Partei vor vergleiche sinngemäß das hg. Erkenntnis vom 25. März 1976, Slg. N.F. 9024/A).

Im gegenständlichen Fall hat der Beschwerdeführer einen ihm zugestellten Bescheid 16 Tage nach Zustellung an den bevollmächtigten Rechtsanwalt geschickt und im Begleitschreiben lediglich vermerkt, daß er gerne gegen diesen Bescheid Berufung erheben würde. Der Beschwerdeführer hat weder auf dem Bescheid das Zustelldatum vermerkt noch im Schreiben an den Rechtsanwalt das Zustelldatum bekanntgegeben.

Wenn eine Partei einen Bescheid erst Wochen nach der Zustellung an den bevollmächtigten Vertreter weiterleitet und dabei keine Angaben über den Tag der Zustellung macht und zudem, wenn sie von der Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes angerufen wird, nicht auf das Zustelldatum hinweist, und wenn dieses Verhalten kausal für die Versäumung der Berufungsfrist ist, dann liegt ein Sachverhalt vor, der ein über die leichte Fahrlässigkeit hinausgehendes Verschulden an der Fristversäumnis indiziert. Aus dem vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen ergibt sich in keiner Weise, daß er mit seinem oben dargestellten Verhalten nicht in einer über die leichte Fahrlässigkeit hinausgehenden Weise die Versäumung verschuldet habe. Ein Wiedereinsetzungswerber handelt nämlich auffällig sorglos, wenn er die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen hat vergleiche Ritz, BAO-Kommentar, Paragraph 308, Tz 15). Daß aber der Beschwerdeführer nach seinen persönlichen Verhältnissen ausnahmsweise zu einer solchen Sorgfalt nicht befähigt gewesen wäre bzw. ihm eine solche Sorgfalt nicht zugemutet hätten werden können, ist nicht behauptet worden.

Weil sohin der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid im Ergebnis nicht in seinen Rechten verletzt worden ist, war die Beschwerde gemäß Paragraph 42, Absatz eins, VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 47, ff VwGG in Verbindung mit der VO Bundesgesetzblatt 416 aus 1994,.