Gericht

Verwaltungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

14.07.1994

Geschäftszahl

91/17/0170

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Kramer und die Hofräte Dr. Wetzel, Dr. Puck, Dr. Gruber und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schidlof, über die Beschwerde 1.) des RS und 2.) der TS, beide in römisch zehn, beide vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in E, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 27. Dezember 1990, Zl.II/1-BE-11-11/10-90, betreffend Abgabennachsicht in Angelegenheit einer Kanaleinmündungsabgabe und einer Sonderabgabe (mitbeteiligte Partei: Gemeinde römisch zehn), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Im Nachhang zu einer am 13. November 1968 aufgenommenen Niederschrift, betreffend eine kostenlose Grundabtretung, wurde seitens des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde folgendes Schreiben vom 24. Dezember 1968 an den Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer gerichtet:

"Sehr geehrter Herr ASÜ

In Ergänzung der in der Niederschrift vom 13. November 1968 getroffenen Vereinbarung erklärt die Gemeinde römisch zehn, daß auch für den Fall der Errichtung einer Ortskanalisierung die Einleitung der Abwässer des Betriebes und des Hauses Herrn AS und dessen Rechtsnachfolger im Besitz des Hauses römisch zehn Nr. 180 in den zu schaffenden neuen Kanal mit keinen für Herrn AS und dessen Rechtsnachfolger entstehenden Kosten verbunden sein darf, demnach weder eine Kanalanschlußgebühr noch eine Kanalbenützungsgebühr von Herrn AS und dessen Rechtsnachfolger verlangt wird und die Gemeinde für den Fall einer Vorschreibung einer solchen Gebühr Herrn AS und dessen Rechtsnachfolger schadlos halten wird.

Der Bürgermeister:"

1.2. Mit Abgabenbescheid vom 31. März 1989 schrieb der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde den Beschwerdeführern eine Kanaleinmündungsabgabe in der Höhe von S 83.007,-- und eine Sonderabgabe in der Höhe von S 789.000,-- zuzüglich Umsatzsteuer vor.

Die gegen diesen Abgabenbescheid erhobene Berufung wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Gemeinde mit Bescheid vom 12. Dezember 1989 als unbegründet ab.

Im Berufungsschriftsatz hatten die Beschwerdeführer "für den Fall, daß ihrer Berufung nicht Folge gegeben" werde, den (weiteren) Antrag gestellt, ihnen die mit Bescheid vom 31. März 1989 vorgeschriebenen Abgaben zur Gänze nachzusehen. Zur Begründung dieses Antrages stützten sich die Beschwerdeführer auf die Erledigung des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. Dezember 1968. Wie immer dieses Schriftstück rechtlich zu qualifizieren sei, rechtswirksam sei es auf jeden Fall in dem Sinne, daß den Beschwerdeführern durch den Anschluß und die Benützung des öffentlichen Mischwasserkanales in römisch zehn keinerlei Kosten entstehen dürften, sodaß die Einhebung der genannten vorgeschriebenen Abgaben unbillig sei; es sei jedenfalls auch unbillig, die gegenständliche(n) Abgabe(n) über den Verwaltungsweg vorzuschreiben und dadurch den Beschwerdeführern die Last aufzutragen, sie auf dem Zivilrechtsweg entweder von der mitbeteiligten Gemeinde oder vom Bürgermeister einzufordern.

1.3. Die Beschwerde gegen den Vorstellungsbescheid der belangten Behörde vom 14. Februar 1990 betreffend die Abgabenfestsetzung wurde mit hg. Erkenntnis vom 8. März 1991, Zl. 90/17/0328, als unbegründet abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird hiezu unter Punkt 2.2.2. ausgeführt, das in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebene Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde (vom 24. Dezember 1968) an den Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer sei seiner Form nach kein Bescheid; es sei insbesondere nicht als Bescheid bezeichnet. Auch was seinen Inhalt anlange, liege eine Deutung nahe, die das Schreiben nicht als einen Akt der obrigkeitlichen, also einseitig anordnenden (heteronomen) Normerlassung der Hoheitsverwaltung ansehe. Es enthalte wohl eine Erklärung der Gemeinde, daß "auch für den Fall der Errichtung einer Ortskanalisierung" eine Kanalanschlußgebühr und eine Kanalbenützungsgebühr nicht "verlangt wird", gehe aber offenbar selbst davon aus, daß bei Verwirklichung des entsprechenden Abgabentatbestandes eine Abgabenvorschreibung erfolgen müsse. Auch für diesen Fall würde die Gemeinde den Adressaten des Schreibens und seine Rechtsnachfolger schadlos halten. Der Inhalt dieser Zusage, die sich als "Ergänzung der in der Niederschrift vom 13. November 1968 getroffenen Vereinbarung" (in Angelegenheit der Grundabtretung) bezeichne und damit einen unmittelbaren Zusammenhang mit einem rechtsgeschäftlichen Vorgang herstelle, zeige, daß der Bürgermeister keinen bescheidförmigen Verzicht auf einen allfälligen künftigen Abgabenanspruch, wofür weder das NÖ Kanalgesetz, Landesgesetzblatt Nr. 6 aus 1954, in der damals geltenden Fassung, noch das NÖ KanalG Landesgesetzblatt 8230-0 noch die NÖ AO 1977 (die Abgabenabschreibung nach den Paragraphen 182, ff NÖ AO 1977 setze eine fällige Abgabenschuld, die Abgabennachsicht darüber hinaus einen Antrag voraus) eine entsprechende Rechtsgrundlage geboten hätten, intendiert habe. Auch hätte dem Bürgermeister für einen Verzicht, worauf im Vorstellungsbescheid zu Recht hingewiesen worden sei, die Zuständigkeit gemangelt. Die gewählte Formulierung "schadlos halten wird" deute nicht nur auf einen privatrechtlichen Inhalt dieses Teiles der Erklärung hin, sondern unterstreiche deren rechtsgeschäftlichen Charakter insgesamt. Der Verwaltungsgerichtshof ist (unter anderem) auf Grund obiger Erwägungen - hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen (Paragraph 43, Absatz 2, VwGG) - zu dem Ergebnis gekommen, daß das Schreiben des Bürgermeisters vom 24. Dezember 1968 der in Rede stehenden Abgabenvorschreibung nicht entgegengestanden sei.

1.4. Mit Eingabe vom 26. April 1990 gaben die Beschwerdeführer über Aufforderung ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse bekannt. Die Unbilligkeit ergebe sich aus der geringen Höhe der monatlichen Einkommen der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Höhe der geforderten Abgaben. Es sei den Beschwerdeführern durch die schon vorhandene Belastung mit Kreditrückzahlungen unmöglich, ohne Gefährdung des Bestands des Unternehmens (Fleischerei und Viehhandel) sowie der Sicherung der Weiterbeschäftigung der in diesem Betrieb tätigen Arbeitnehmer einen Betrag in der genannten Höhe zu entrichten. Der Erstbeschwerdeführer sei Eigentümer des Geschäfts- und Wohnhauses in römisch zehn, W-Straße 7, sowie des Hauses H-Straße 44 in Y.

1.5. Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 6. Juli 1990 wurde dem Nachsichtsansuchen der Beschwerdeführer keine Folge gegeben. Begründend heißt es in diesem Bescheid im wesentlichen, aus den eindeutigen Zuständigkeitsvorschriften der NÖ Gemeindeordnung (im folgenden: NÖ GdO) ergebe sich, daß für die Nachsicht von Abgaben der Gemeinderat in erster und letzter Instanz zuständig sei. Es fehle allein aus diesem Grunde dem Antrag auf Devolution vom 30. März 1990 an seiner Berechtigung. Das Vorbringen der Beschwerdeführer sei nicht geeignet, eine Unbilligkeit bei der Einhebung darzutun. Wenn die Beschwerdeführer nämlich selbst darlegten, daß sie letztendlich für die Abgabe nicht aufzukommen hätten, sondern sich bei dritten Personen regressieren könnten, sohin die Abgabenvorschreibung nicht selbst zu tragen hätten, könne die Einhebung der Abgabe den Bestand des Unternehmens nicht gefährden. Auch bei Betrachtung der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beschwerdeführer sei keine Unbilligkeit bei der Einhebung anzunehmen. Wäre der Anschluß an den öffentlichen Kanal nicht ermöglicht worden, so hätten die Beschwerdeführer - um eine Betriebsführung überhaupt weiter zu ermöglichen - selbständig entsprechende Einrichtungen schaffen müssen, deren Kosten höher gewesen wären als die durch die Gemeindebehörden vorgeschriebenen Abgaben. Die Abgabenordnung kenne auch die Möglichkeit der Zahlungserleichterungen, sodaß die Entrichtung der vorgeschiebenen Abgaben über einen längeren Zeitraum hindurch durchaus auch bei der angegebenen Einkommens- und Vermögenslage möglich erscheine. Selbst bei Annahme einer Unbilligkeit sei der Gemeinderat der Auffassung, daß eine Nachsicht nicht zu gewähren sei. Berücksichtige man, daß gerade wegen des gegenständlichen Betriebes eine besondere Ausgestaltung der Kanalanlage (Kläranlage) erforderlich gewesen sei und diese Kosten die Betriebsführung der öffentlichen Kanalanlage wesentlich belasteten, sei es nicht vertretbar, die durch den Betrieb hervorgerufenen Mehrkosten auf sämtliche Benützer der Kanalanlage umzulegen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung führten die Beschwerdeführer unter anderem aus, es habe eine sachlich unzuständige Behörde entschieden. Nach Wiedergabe näher genannter Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes heißt es in der Vorstellung weiters, es sei die Einzelfallhärte der Einhebung im Nachsichtsansuchen aufgezeigt worden, sodaß die Nachsicht der Kanaleinmündungsabgabe und der Sonderabgabe aus vom Vertrauensschutz ableitbaren Interessensabwägungen und Zumutbarkeitsüberlegungen zu gewähren sei. Müsse die Zweitbeschwerdeführerin bei einem monatlichen Nettoeinkommen von S 9.000,-- und bei Sorgepflichten für drei minderjährige Kinder eine Abgabe in der Höhe von S 1,000.000,-- finanzieren, wäre sie einer nicht wieder gutzumachenden Notlage ausgesetzt. Der Erstbeschwerdeführer könne diese Abgabe aus einem steuerpflichtigen Bruttoeinkommen von S 167.458,-- nicht berichtigen, ohne den Betrieb, die Dienstnehmer, die Familie und das ererbte Vermögen zu gefährden, zu ruinieren und zu verlieren; der Erstbeschwerdeführer sei durch die Erhaltung des ererbten und zugekauften Liegenschaftsbesitzes sowie durch die Rückzahlung der zum Ankauf aufgenommenen Darlehen - trotz derzeit guter Konjunkturlage - überfordert; wenn der Erstbeschwerdeführer die genannten Abgaben bezahlen müsse, verliere er seine Existenz und die Dienstnehmer ihre Arbeitsstelle. Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde habe die Beschwerdeführer durch seine schriftliche Zusage vom 24. Dezember 1968 geradezu verleitet, finanziell keine Vorsorge zu treffen; sie hätten zu Recht darauf vertraut, daß die mitbeteiligte Gemeinde ihrer vertraglichen Verpflichtung nachkommen werde, den Betrieb an die Ortskanalisation ohne jegliche Kosten für die Beschwerdeführer anzuschließen. Der Vertrauens- und Vertragsbruch sei nicht vorhersehbar gewesen. Eine unrichtige Auskunft des Finanzamtes könne eine Nachsicht rechtfertigen; damit vergleichbar stellten die schriftlichen Versprechungen der mitbeteiligten Gemeinde - vertreten durch den Bürgermeister - vom 24. Dezember 1968 geradezu den Prototyp einer Unbilligkeit dar, weil einerseits den Beschwerdeführern gegenüber entweder die mitbeteiligte Gemeinde oder der Bürgermeister persönlich regreßpflichtig sei, andererseits ihnen doch nicht ernstlich ein Millionenprozeß entweder gegen die mitbeteiligte Gemeinde oder den Bürgermeister zugemutet werden könne.

1.6. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Vorstellung als unbegründet ab. Was die Frage der Zuständigkeit anlangt, so heißt es zunächst, der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid sei auf Grund der Bestimmung des Paragraph 35, Absatz 2, Ziffer 18, Litera d, NÖ GdO 1973 zu Recht vom Gemeinderat erlassen worden. Weiters heißt es im Vorstellungsbescheid, das Vorliegen einer Unbilligkeit sei seitens der Abgabenbehörde zu Recht verneint worden. Das Vertrauen in die in der Niederschrift vom 24. Dezember 1968 festgehaltene Erklärung könne letztlich nur bedeuten, daß den Beschwerdeführern eine Regreßmöglichkeit aufgezeigt worden sei; dieses Vertrauen auf die Erklärung der Gemeinde, die als Privatrechtsakt anzusehen sei, könne weder das Recht der Abgabenbehörde schmälern, die Abgabe vorzuschreiben, noch diese einzuheben. Das Vertrauen auf Erklärungen Dritter könne somit hoheitsrechtliche Befugnisse nicht schmälern; es habe sich nur darauf beziehen können, daß die Beschwerdeführer die Abgabe nicht aus ihrem eigenem Vermögen entrichten müßten bzw. Ersatz dafür erhielten. Werde jedoch den Beschwerdeführern eine Möglichkeit der Schadloshaltung geboten, sodaß sie den Aufwand, der aus der Abgabenentrichtung herrühre, nicht aus ihrem eigenen Vermögen tragen müßten, so könne die Einhebung der Abgabe keine Unbilligkeit darstellen. Schließlich wird - soweit für das verwaltungsgerichtliche Verfahren noch von Belang - in der Begründung ausgeführt, die Annahme der Gemeinde sei richtig, daß unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beschwerdeführer keine Unbilligkeit vorliege. Es sei zwar einzuräumen, daß bei ausschließlicher Betrachtung der Einkommenssituation der Beschwerdeführer die sofortige Entrichtung der Abgabe eine Härte darstellen würde, jedoch sei im gegenständlichen Fall nicht zu vernachlässigen, daß die Beschwerdeführer über einen relativ wertvollen Liegenschaftsbesitz verfügten. Daß auf diesen Liegenschaften Schulden lasteten, diese Schulden und der Erhaltungsaufwand aber durch Mieteinnahmen abgedeckt seien, könne den Wert der Liegenschaften nicht schmälern.

1.7. Diesen Bescheid bekämpften die Beschwerdeführer zunächst vor dem Verfassungsgerichtshof, der jedoch mit Beschluß vom 30. September 1991, B 183/91, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat.

1.8. Nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Abgabennachsicht verletzt. Sie beantragen, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

1.9. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschriftt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Gemäß Paragraph 183, Absatz eins, NÖ AO 1977 können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nach der Lage des Falles ist dabei tatbestandsmäßige Voraussetzung für die in Paragraph 183, NÖ AO 1977 vorgesehene Ermessensentscheidung. Wird die Unbilligkeit der Abgabeneinhebung verneint, so ist für eine Ermessensentscheidung kein Raum vergleiche etwa zum inhaltsgleichen Paragraph 236, Absatz eins, BAO das hg. Erkenntnis vom 22. September 1992, Zl. 92/14/0083).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere auch zum inhaltsgleichen Paragraph 236, Absatz eins, BAO, setzt der Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen oder des Steuergegenstandes gelegenen Sachverhaltselementes voraus, aus dem sich ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in jenem subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können, stellen eine Unbilligkeit dagegen nicht dar. Jedenfalls muß es zu einer anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem atypischen Vermögenseingriff kommen. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Die Abgabennachsicht soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern vergleiche hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0218, und vom 30. Juli 1992, Zl. 90/17/0403, sowie die dort jeweils angeführte weitere Rechtsprechung).

Bei der Entscheidung über ein Nachsichtsansuchen ist stets die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu berücksichtigen vergleiche nochmals das hg. Erkenntnis vom 22. September 1992, Zl. 92/14/0083). Für die Sachentscheidung der Vorstellungsbehörde ist jene Sach- und Rechtslage maßgeblich, die zum Zeitpunkt des letztinstanzlichen gemeindebehördlichen Bescheides bestanden hat vergleiche das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0222).

Im Nachsichtsverfahren ist es Sache des Nachsichtswerbers, im Sinne der ihn treffenden Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluß jeglichen Zweifels das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die Nachsicht gestützt werden kann vergleiche abermals das hg. Erkenntnis vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0218).

2.2. Im Recht ist die Vorstellungsbehörde insofern, als sie hinsichtlich der Zuständigkeit des Gemeinderates zur Entscheidung über die Abgabennachsicht (Paragraph 183, NÖ AO 1977) auf Paragraph 35, Absatz 2, Ziffer 18, Litera d, der NÖ GdO in der Fassung LGBl. 1000-3, hinweist vergleiche hiezu das hg. Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 1992, Zl. 88/17/0128, mit Hinweis auf ein weiteres Erkenntnis vom 27. Oktober 1980, Zl. 675/79).

2.3.1. In der Beschwerde wiederholen die Beschwerdeführer ihr auf Verwaltungsebene erstattetes Vorbringen (insbesondere jenes zur schriftlichen Zusage der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. Dezember 1968); sie rügen einerseits, daß der Begriff der Unbilligkeit zu restriktiv ausgelegt worden sei, andererseits vermissen die Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid jegliche Feststellungen darüber, ob sie in der Lage gewesen wären, einen zusätzlichen Kredit in der doch beträchtlichen Höhe von rund S 1,000.000,-- auf ihren Liegenschaften als Hypothek sicherzustellen bzw. auf welche Weise sie diesen hohen Betrag bei ihren minimalen monatlichen Einkommen ohne wesentliche Einschränkung ihres Betriebes, der ihre Lebensgrundlage darstelle, hätten aufbringen können. Das Vorbringen der Beschwerdeführer im Schriftsatz vom 26. April 1990 sei in aktenwidriger Weise bzw. gar nicht zur Beurteilung der Unbilligkeit herangezogen worden, sodaß der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt der Ergänzung bedürfe bzw. aktenwidrig angenommen worden sei.

2.3.2. Mit diesen Ausführungen sind die Beschwerdeführer im Recht.

2.3.2.1. Im vorliegenden Fall haben die Beschwerdeführer schon auf Verwaltungsebene unter genauer Darlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse ein Vorbringen in der Richtung erstattet, die Unbilligkeit der Einhebung sei schon deshalb gegeben, weil die Einbringung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus ihr für die Beschwerdeführer ergäben.

Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, daß bei Zutreffen dieser Behauptung eine Unbilligkeit im Sinne des Paragraph 183, Absatz eins, NÖ AO 1977 zu bejahen wäre.

Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit der Einkommens- und Vermögenssituation der Beschwerdeführer nicht ausreichend auseinandergesetzt; insbesondere fehlen darin jegliche Feststellungen zum vorgebrachten Argument der Existenzgefährdung für den Fall der Einhebung der Abgaben. Bezüglich der Einkommenssituation der Beschwerdeführer räumt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst ein, daß die Abgabenentrichtung eine Härte darstellen würde. Da die belangte Behörde auch nicht festgestellt hat, die Abgabenabstattung ließe sich ohne Verschleuderung des Vermögens durch Verwertung des dem Erstbeschwerdeführer gehörenden Liegenschaftsbesitzes bewirken, erweist sich die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Rechtsansicht der belangten Behörde, im Beschwerdefall sei die Abgabeneinhebung bei den Beschwerdeführern nicht - auch nicht teilweise - unbillig, als inhaltlich rechtswidrig. Die belangte Behörde hätte auf Grund der in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebenen Behauptungen der Beschwerdeführer entsprechende Feststellungen treffen müssen; erst auf Grund derartiger Feststellungen wäre eine Entscheidung der Frage möglich, ob ein solches wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich der Beschwerdeführer entstehenden Nachteilen vorliegt, daß die Einhebung unbillig im Sinne des Paragraph 183, Absatz eins, NÖ AO 1977 erscheint.

2.3.2.2. Darüber hinaus erweist sich der angefochtene Bescheid aber auch unter nachstehendem Gesichtspunkt als rechtswidrig: Der Unbilligkeitstatbestand stellt auf die Einhebung ab. So wie sich in der Regel aus der materiellen Rechtswidrigkeit eines in Rechtskraft erwachsenen Abgabenbescheides nicht die Unbilligkeit der Einhebung der betreffenden Abgaben nach Lage des Falles ergibt, schließt UMGEKEHRT die allfällige Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung nicht aus, daß eine Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles gegeben sein könnte vergleiche das hg. Erkenntnis vom 24. September 1993, Zl. 93/17/0054).

Die Abgabenvorschreibung betreffend die Kanaleinmündungsabgabe und die Sonderabgabe erfolgte den Beschwerdeführern gegenüber - trotz der privatrechtlichen Zusage der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. Dezember 1968 an den Rechtsvorgänger der Beschwerdeführer - zu Recht vergleiche hiezu nochmals das in der Sachverhaltsdarstellung wiedergegebene hg. Erkenntnis vom 8. März 1991, Zl. 90/17/0328).

Das im Artikel 18, Absatz eins, B-VG normierte Legalitätsgebot ist zwar stärker als der Grundsatz von "Treu und Glauben"; der Grundsatz von TREU UND GLAUBEN kann sich aber etwa in jenem Bereich auswirken, in welchem es auf Fragen der BILLIGKEIT ankommt vergleiche zB das hg. Erkenntnis vom 15. September 1983, Zlen. 83/16/0040, 0043). Treu und Glauben ist nach der Rechtsprechung eine allgemeine, ungeschriebene Rechtsmaxime, die auch im öffentlichen Recht, somit auch im Steuerrecht - nach Maßgabe des eben Gesagten - zu beachten ist. Gemeint ist damit, daß jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort und zu seinem Verhalten zu stehen hat und sich nicht ohne triftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen darf, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben. Auch unrichtige Auskünfte im Einzelfall können einen gewissen Vertrauens- und Dispositionsschutz auslösen sowie bei der dessenungeachtet gebotenen Anwendung des Gesetzes eine Unbilligkeit im Sinne des Paragraph 236, Absatz eins, BAO und der entsprechenden Bestimmungen der Landesabgabenordnungen nach der Lage des Falles und damit die Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten zur Folge haben vergleiche das hg. Erkenntnis vom 8. September 1992, Zl. 87/14/0091, unter Bezugnahme auf Doralt - Ruppe, Grundriß des österreichischen

Steuerrechts II2, 152, 153; siehe ferner Stoll, Das Steuerschuldverhältnis, 1972, 77; Melichar, Zur Frage von Treu und Glauben im Steuerrecht, in: Kastner-FS, 1972, 309; Weinzierl, Der Grundsatz von Treu und Glauben im Abgabenverfahren, FJ 1977, 149; Ruppe, Konsumentenschutz und Abgabenrecht, in: Schilcher - Bretschneider, Hrsg., Konsumentenschutz im öffentlichen Recht, 1984, 197, 205; Nikolaus, Auskünfte von Finanzbehörden nach dem Auskunftspflichtgesetz, 1987, 47). Dieselben Erwägungen haben für nicht bescheidförmige Zusagen zu gelten vergleiche auch Ruppe, Auskünfte und Zusagen durch Finanzbehörden, ÖStZ 1979, 50; Puck, Haftung des Staates für informelle Zusagen und Auskünfte, in: Aicher, Hrsg., Die Haftung für staatliche Fehlleistungen im Wirtschaftsleben, 171, 198).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage erweist sich der angefochtene Bescheid auch deswegen als inhaltlich rechtswidrig, weil darin ganz undifferenziert zum Ausdruck gebracht wird, in der Abgabeneinhebung könne keinesfalls eine Unbilligkeit liegen, wenn dem Abgabepflichtigen auf Grund einer privatrechtlichen Zusage der hebeberechtigten Gemeinde eine im gerichtlichen Rechtsweg geltend zu machende Regreßmöglichkeit eingeräumt sei. Eine solche, auf die besondere Lage des Falles nicht Bedacht nehmende Rechtsauffassung wird im besonderen auch deswegen dem gesetzlichen Tatbestand der "Unbilligkeit" nicht gerecht, weil sie nicht darauf Bedacht nimmt, daß die Kosten der Prozeßführung die finanziellen Möglichkeiten des Abgabepflichtigen übersteigen könnten.

2.4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß Paragraph 42, Absatz 2, Ziffer eins, VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2.5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die Paragraphen 47 und 48 Absatz eins, Ziffer 2, VwGG in Verbindung mit Art. römisch eins Ziffer eins, sowie Art. römisch III Absatz 2, der Verordnung des Bundeskanzlers Bundesgesetzblatt Nr. 416 aus 1994,. Stempelgebühren waren nicht zuzusprechen, weil solche im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht aufgelaufen sind.

2.6. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Artikel 14, Absatz 4, der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, Bundesgesetzblatt Nr. 45 aus 1965,, hingewiesen.