Gericht

Verfassungsgerichtshof

Entscheidungsdatum

15.03.1986

Geschäftszahl

B416/81

Sammlungsnummer

10828

Leitsatz

HSchG; HSchWO; Abweisung des Einspruchs wahlwerbender Gruppen gemäß §16 Abs12 HSchG in Verbindung mit §42 HSchWO gegen das Wahlergebnis durch den BMWF; Annahme der Behörde, daß §15 Abs5 HSchG in Verbindung mit den das HSchG konkretisierenden Bestimmungen der HSchWO es nicht ermögliche zu prüfen, ob die Beteiligung an einer Wahl durch eine wahlwerbende Gruppe oder eine kandidierende Person dem Art9 StV Wien 1955 und §3 VerbotsG widerspricht; Unrichtigkeit dieser Annahme - unmittelbare Anwendbarkeit des §3 VerbotsG (Hinweis auf VfSlg. 10705/1985); ausgehend von dieser unzutreffenden Auslegung Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeiten, die die Behörde in die Lage versetzt hätte, die Verpflichtung des §3 VerbotsG wahrzunehmen - Verletzung im Gleichheitsrecht

Spruch

Die bf. Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden. Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wissenschaft und Forschung) ist schuldig, den bf. Parteien zuhanden ihrer Beschwerdevertreter die mit je 28050 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

römisch eins. 1. Für die Wahl des Zentralausschusses der Österreichischen Hochschülerschaft im Mai 1979 hatte die wahlwerbende Gruppe "Aktion Neue Rechte (ANR)" einen Wahlvorschlag eingebracht. Diesen Wahlvorschlag hat die Wahlkommission bei der Österreichischen Hochschülerschaft mit Bescheid vom 10. Mai 1979 wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Art4 und 9 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, Bundesgesetzblatt 152 aus 1955, (im folgenden: StV Wien 1955), und der §§3, 3a und 3d des Verbotsgesetzes, StGBl. 13/1945 in der Fassung des Nationalsozialistengesetzes Bundesgesetzblatt 25 aus 1947, (in der Folge: VerbotsG), nicht zugelassen.

Nach durchgeführter Wahl hat die ANR durch ihren Zustellungsbevollmächtigten wegen der Nichtzulassung ihres Wahlvorschlages Einspruch gegen das Wahlergebnis gemäß §16 Abs12 HochschülerschaftsG 1973, Bundesgesetzblatt 309 aus 1973, (in der Folge: HSchG), iVm.

§42 Abs1 Hochschülerschaftswahlordnung 1973, Bundesgesetzblatt 546 aus 1973, (in der Folge: HSchWO), wegen Verletzung der Bestimmungen über das Wahlverfahren erhoben und beantragt, die Wahl für ungültig zu erklären.

Da vom Bundesminister für Wissenschaft und Forschung über diesen Einspruch innerhalb der Frist des §73 AVG 1950 nicht entschieden worden war, ging aufgrund der von der ANR erhobenen Säumnisbeschwerde die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Einspruch auf den VwGH über. Von diesem erging das Erk. vom 22. September 1980, VwSlg. 10231 A/1980, mit dem dem Einspruch "wegen der durch den Bescheid der Wahlkommission bei der Österreichischen Hochschülerschaft vom 10. Mai 1979 erfolgten Verletzung der Bestimmung des §20 Abs1 der Hochschülerschaftswahlordnung über das Wahlverfahren" stattgegeben wurde. Die Wahl wurde für ungültig erklärt.

2. Die Wiederholungswahl wurde am 20. und 21. Mai 1981 (iS des §15 Abs9 in Verbindung mit §15 Abs1 HSchG, in der Fassung der Novellen Bundesgesetzblatt 141 aus 1978, und 482/1980, gleichzeitig als Neuwahl) durchgeführt. Nach dem am 26. Mai 1981 kundgemachten Wahlergebnis entfiel auf den Wahlvorschlag der ANR ein Mandat für den Zentralausschuß der Österreichischen Hochschülerschaft.

Mit einem Schriftsatz vom 9. Juni 1981 erhoben die wahlwerbende Gruppe "Verband Sozialistischer Studenten Österreichs (VSStÖ)" und die wahlwerbende Gruppe "Kommunistischer Studentenverband (KSV)" - im folgenden als Bf. bezeichnet - durch ihre Zustellungsbevollmächtigten gemäß §16 Abs12 HSchG in Verbindung mit §42 HSchWO Einspruch gegen das Wahlergebnis wegen Verletzung der Bestimmungen über das Wahlverfahren.

Mit dem Bescheid des Bundesministers für Wissenschaft und Forschung vom 30. Juni 1981 wurde der Einspruch als unbegründet abgewiesen.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die von den Bf. unter Berufung auf Art144 B-VG erhobene Beschwerde, in der der Antrag gestellt wird, den angefochtenen Bescheid "wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes bzw. einer gesetzwidrigen Verordnung" kostenpflichtig aufzuheben.

Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet und darin die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.

römisch II. Aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens hat der VfGH zwei Gesetzesprüfungsverfahren eingeleitet:

1. In dem zu G35/83 protokollierten Verfahren hat der Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit der Sätze 5 bis 8 des §15 Abs9 HSchG in der Fassung der Novelle Bundesgesetzblatt 482 aus 1980, geprüft und mit Erk. VfSlg. 10090/1984 ausgesprochen, daß diese Bestimmung, die vorsieht, daß unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiederholungswahl gleichzeitig als Neuwahl durchzuführen ist, nicht verfassungswidrig ist.

2. Weiters hat der VfGH die Verfassungsmäßigkeit des §15 Abs5 HSchG in der Fassung der Novelle Bundesgesetzblatt 141 aus 1978, geprüft. Mit Erk. VfSlg. 10705/1985 hat der Gerichtshof erkannt, daß auch diese Bestimmung, die die Wahlbehörden nicht ausdrücklich ermächtigt, zu prüfen, ob eine wahlwerbende Gruppe den verfassungsrechtlichen Verboten des §3 VerbotsG und des Art9 StV Wien 1955 widerspricht, nicht verfassungswidrig ist, weil auch den Hochschülerschaftswahlbehörden schon durch §3 VerbotsG die Kompetenz übertragen ist, die Frage zu prüfen, ob durch die Kandidatur einer wahlwerbenden Gruppe das Wiederbetätigungsverbot iS dieser gesetzlichen Bestimmung verletzt wird, in welchem Fall diese wahlwerbende Gruppe nicht zur Wahl zuzulassen ist.

römisch III. 1. Die Beschwerde ist - wie der VfGH schon in seinem Erk. VfSlg. 10090/1984 festgestellt hat - zulässig.

2. Sie ist auch begründet; der angefochtene Bescheid verletzt die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht:

Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH wird der Gleichheitsgrundsatz durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde ua. dann verletzt, wenn die Behörde von einer unzutreffenden Auslegung eines Gesetzes ausgehend jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidungswesentlichen Punkt unterlassen hat vergleiche VfSlg. 8320/1978 mwH auf die Vorjudikatur).

Dies ist hier der Fall: Die Behörde hat bei ihrer Entscheidung angenommen, daß ihr die geltende Rechtslage (und zwar §15 Abs5 HSchG in Verbindung mit den das HSchG konkretisierenden Bestimmungen der HSchWO) nicht ermögliche, die Frage zu prüfen, ob die Beteiligung an einer Wahl durch eine wahlwerbende Gruppe oder eine kandidierende Person den verfassungsgesetzlichen Verboten des Art9 StV Wien 1955 und des §3 VerbotsG widerspricht, und bejahendenfalls den Wahlvorschlag nicht zuzulassen. Diese Auffassung hat sich, wie der VfGH in seiner Entscheidung VfSlg. 10705/1985 ausführlich dargetan hat, als unzutreffend erwiesen. Die bel. Beh. hätte vielmehr aufgrund des §3 VerbotsG zu prüfen gehabt, ob das Einbringen des Wahlvorschlages durch die wahlwerbende Gruppe ANR einen Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung darstellt. Denn §3 VerbotsG ist auch dann anwendbar, wenn das für die Behörde maßgebliche Gesetz seine Beachtung nicht ausdrücklich oder durch einen allgemeinen Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des Vorhabens oder Begehrens vorschreibt. Hätte sich bei der Prüfung, die von der Behörde vorzunehmen gewesen wäre, herausgestellt, daß das Einbringen des Wahlvorschlages einen Akt nationalsozialistischer Wiederbetätigung darstellt, wäre der Wahlvorschlag nicht zuzulassen gewesen.

Ermittlungstätigkeiten, die die Behörde in die Lage versetzt hätten, diese ihr aufgrund des §3 VerbotsG obliegende Verpflichtung wahrzunehmen, hat die Behörde - auf Grundlage ihrer unzutreffenden Rechtsansicht - aber überhaupt nicht vorgenommen und dadurch die Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht verletzt. Ungeachtet der Tatsache, daß die unterbliebenen Erhebungen im Hinblick darauf, daß der Bescheid infolge der zwischenzeitig durchgeführten Hochschülerschaftswahlen 1983 keine aktuellen Rechtswirkungen mehr entfaltet, nicht mehr nachzuholen sein werden und auch kein Ersatzbescheid zu erlassen sein wird, war daher der angefochtene Bescheid wegen Gleichheitswidrigkeit aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. Da die Intervention der Bf. im Gesetzesprüfungsverfahren VfSlg. 10705/1985 - wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt - der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in der vorliegenden Beschwerdesache gedient hat, waren auch die dadurch verursachten Kosten den Bf. zuzusprechen.

Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von je 2550 S enthalten.