Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

13.07.2010

Geschäftszahl

17Ob9/10p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H*****, USA, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, wegen Feststellung (Streitwert 36.000 EUR), im Verfahren über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 11. November 2008, GZ 3 R 118/08f-25, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 5. Mai 2008, GZ 7 Cg 204/06w-21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Das Revisionsverfahren wird fortgesetzt.

2. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.090,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 515,13 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung:

römisch eins. Zur Fortsetzung des Verfahrens

Der Senat hat das Revisionsverfahren bis zur Erledigung des zu 17 Ob 17/08m (= MR 2008, 400 [Koukal/Höhne] = jusIT 2009, 11 [Thiele] - reifen.eu) gestellten Vorabentscheidungsersuchens unterbrochen. Die Vorabentscheidung liegt nun vor (EuGH 3. 6. 2010, Rs C-569/08, Internetportal und Marketing GmbH). Das Revisionsverfahren ist daher auf Antrag der Beklagten fortzusetzen.

römisch II. Zur Sache

Mit Verordnung (EG) Nr 874/2004 der Kommission vom 28. April 2004, die zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr 733/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. April 2002 zur Einführung der Domain oberster Stufe „eu“ erging, wurden allgemeine Regeln für die Top Level Domain „.eu“ und deren Registrierung festgelegt. Artikel 12, dieser Verordnung sieht eine gestaffelte Registrierung in drei zeitlich aufeinander folgenden Phasen vor: Phase 1 („Sunrise-Periode 1“, Anmeldung von Domains nur durch Inhaber oder Lizenznehmer früherer Rechte an registrierten nationalen oder Gemeinschaftsmarken sowie durch öffentliche Einrichtungen), Phase 2 („Sunrise-Periode 2“, Anmeldung durch Inhaber jeglicher Art früherer Rechte) und allgemeine Registrierung („Landrush-Periode“, allgemeine und unbeschränkte Anmeldung). In allen drei Perioden gilt im Verhältnis zwischen mehreren (berechtigten) Bewerbern um dieselbe Domain das zeitliche Zuvorkommen (first come first served).

Mit Entscheidung vom 21. Mai 2003 (ABl L 128, 29) benannte die Kommission gemäß Artikel 3, Absatz eins, VO (EG) Nr  733/2002 die in Brüssel ansässige Nonprofit-Organisation „European Registry for Internet Domains“ (im Folgenden: EURid) als Register für die Organisation und Verwaltung der Top Level Domain „.eu“. EURid übertrug die Durchführung von alternativen Streitbeilegungsverfahren im Sinne des Art 22 VO (EG) Nr 874/2004 dem in Prag ansässigen „Schiedsgericht bei der Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik und der Landwirtschaftskammer der Tschechischen Republik“ (im Folgenden: Schiedsgericht). Das Schiedsgericht entscheidet nach Artikel 22, VO (EG) Nr 874/2004 über Klagen gegen Domaininhaber wegen der spekulativen oder missbräuchlichen Registrierung der Domain sowie über Klagen gegen das Register wegen Verletzung der Registrierungsvorschriften.

Die Klägerin betreibt Internetportale und vermarktet Produkte im Internet. Um in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung Domains anmelden zu können, beantragte sie beim schwedischen Markenregister erfolgreich die Registrierung von Gattungsbegriffen als Marken, und zwar jeweils unter Verwendung des Sonderzeichens „&“ vor, zwischen und nach den einzelnen Buchstaben. EURid akzeptierte diese Marken als Grundlage für eine Registrierung in der „Sunrise-Periode 1“. Dabei entfielen nach der Transkriptionsregel des Artikel 11, VO (EG) Nr 874/2004 die Sonderzeichen, sodass die Domainnamen der Klägerin nun aus den jeweiligen Gattungsbezeichnungen in nicht verfremdeter Form bestehen.

Mehrere Unternehmen, die über Rechte an den jeweiligen Domainnamen verfügten, bekämpften diese Vorgangsweise der Klägerin vor dem Schiedsgericht als spekulative oder missbräuchliche Registrierung im Sinne von Artikel 21, VO (EG) Nr 874/2004.

Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die von der Klägerin erwirkte Registrierung der Domain „spam.eu“. Die Beklagte, ein Unternehmen aus den USA, verfügt über zwei Gemeinschaftsmarken „SPAM“ für Waren in den Klassen 9, 25, 29 und 30; sie betreibt eine Website unter der Domain „spam.com“. Sie hatte versucht, die Domain „spam.eu“ mittelbar über einen in der EU ansässigen Lizenznehmer ihrer Marken zu erlangen; die Klägerin war diesem Unternehmen aber in der Sunrise-Periode 1 mit ihrer schwedischen Marke &S&P&A&M& zuvorgekommen.

Auf Antrag der Beklagten widerrief das Schiedsgericht die Registrierung der Domain. Weiters verfügte es - ohne darauf gerichteten Antrag - die Übertragung der Domain an die Beklagte.

Die Klägerin begehrt mit einem Haupt- und mehreren Eventualbegehren im Kern die Feststellung, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts rechtswidrig und daher unwirksam sei. Ihre schwedische Marke „&S&P&A&M&“ sei ein Recht im Sinne von Artikel 21, Absatz eins, Litera a, VO (EG) Nr 874/2004. Zudem verfüge sie über ein berechtigtes Interesse an der aus einer Gattungsbezeichnung bestehenden Domain, das dem aus der Gemeinschaftsmarke „SPAM“ abgeleiteten Interesse der Beklagten gleichwertig sei; zwischen den Parteien müsse daher das Zuvorkommen entscheiden. Im Ausnutzen der Transkriptionsregel liege keine Bösgläubigkeit im Sinne von Artikel 21, Abs 1 Litera b, VO (EG) Nr 874/2004; zudem sei die Frage, ob eine Domain zu Recht in der Sunrise-Periode 1 registriert worden sei, nicht im Verfahren nach Artikel 21, in Verbindung mit Artikel 22, Absatz eins, Litera a, VO (EG) Nr 874/2004 zu prüfen, sondern ausschließlich in einem gegen das Register gerichteten Verfahren nach Art 22 Absatz eins, Litera b, dieser VO. Jedenfalls rechtswidrig sei die vom Schiedsgericht verfügte Übertragung der Domain an die Beklagte; diese habe ihren Sitz in den USA, was den Erwerb einer EU-Domain nach Artikel 4, Absatz 2, Litera b, Sub-Litera, i, VO (EG) Nr 733/2002 ausschließe.

Die Beklagte stützt sich auch im gerichtlichen Verfahren auf ihre Gemeinschaftsmarke „SPAM“. Diesem Recht im Sinne von Artikel 21, Absatz eins, der VO (EG) Nr 874/2004 stehe kein Recht oder berechtigtes Interesse der Klägerin gegenüber (Art 21 Absatz eins, Litera a, VO [EG] Nr 874/2004); zudem habe diese die Registrierung in böser Absicht erwirkt (Artikel 21, Absatz eins, Litera b, VO [EG] Nr 874/2004).

Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Das Erstgericht nahm an, dass die Klägerin bösgläubig gehandelt habe. Das Berufungsgericht ließ diese Frage offen, verneinte aber ein Recht oder rechtliches Interesse der Klägerin. Auf die schwedische Marke könne sich die Klägerin nicht stützen, weil sich die Domain wegen des Wegfalls der Sonderzeichen deutlich von der Marke unterscheide. Ein rechtliches Interesse liege nicht vor, weil keiner der Tatbestände des Artikel 21, Absatz 2, der VO (EG) Nr 874/2004 erfüllt sei. Das Interesse an der Nutzung von Gattungsbegriffen sei dort nicht genannt; es sei - bei Annahme eines nicht abschließenden Charakters der Aufzählung - den ausdrücklich geregelten Fallgruppen auch nicht gleichwertig. Ein Vorbringen zu ihrem rechtlichen Interesse an der (isolierten) Feststellung der Unwirksamkeit der Übertragung der Domain an ein amerikanisches Unternehmen habe die Klägerin in erster Instanz nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist nicht zulässig.

1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 Paragraph 502, Rz 32 mwN; RIS-Justiz RS0112921, RS0112769). Im vorliegenden Fall hat der Senat mit Entscheidung vom heutigen Tag im Anlassfall des Vorabentscheidungsverfahrens klargestellt, dass die Vorgangsweise der Klägerin bei der Registrierung ihrer eu-Domains rechtsmissbräuchlich war und deren Widerruf durch das Schiedsgericht daher zu Recht erfolgte (17 Ob 7/10v). Insofern liegt daher keine erhebliche Rechtsfrage mehr vor. Andere Gründe für die Zulässigkeit der Revision nennt die Klägerin in der Zulassungsbeschwerde nicht.

2. In der Ausführung der Revision wendet sich die Klägerin auch gegen die Übertragung der Domain an ein amerikanisches Unternehmen. Auf die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Verfügung hatte sich eines ihrer ebenfalls abgewiesenen Eventualbegehren gerichtet.

Die Übertragung an ein amerikanisches Unternehmen war zwar nach Art 4 Abs 2 Litera b, sublit i VO (EG) Nr 733/2002 offenkundig unzulässig. Die Beklagte hat allerdings schon in der Klagebeantwortung das rechtliche Interesse der Klägerin an der (isolierten) Feststellung dieses Umstands bestritten (ON 11). Die Klägerin hat dazu in erster Instanz kein schlüssiges Vorbringen erstattet; in ON 13 und ON 20 hat sie lediglich auf den (unstrittigen) Umstand verwiesen, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts rechtskräftig würde, wenn sie dagegen nicht Klage erhebe. Umstände, aus denen sich ein rechtliches Interesse ergibt, sind auch nicht notorisch. Denn wäre die Übertragung unterblieben, hätte das Register die Domain aufgrund der Anmeldung in der Sunrise-Periode der Lizenznehmerin der Beklagten zuweisen müssen. Die Klägerin wäre daher keinesfalls zum Zuge gekommen.

Damit ist (auch) das in der Revision erstattete Vorbringen zum rechtlichen Interesse eine unzulässige Neuerung. Eine erhebliche Rechtsfrage ist daher auch insofern nicht begründet.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Beklagte konnte bei Einbringen der Revisionsbeantwortung die Unzulässigkeit der Revision nicht erkennen, weil die Vorabententscheidung des EuGH und die Folgeentscheidung des Obersten Gerichtshofs zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorlagen. Der fehlende Hinweis auf die Unzulässigkeit der Revision schadet daher nicht (RIS-Justiz RS0123861).