Gericht

OGH

Entscheidungsdatum

18.06.2002

Geschäftszahl

4Ob131/02x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** AG, *****, vertreten durch Dr. Christof Pöchhacker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T***** AG, *****, vertreten durch Cerha, Hempel & Spiegelfeld, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 29.069,13 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. März 2002, GZ 5 R 16/02p-17, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten wird gemäß Paragraphen 78,, 402 Absatz 4, EO in Verbindung mit Paragraph 526, Absatz 2, Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 528, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen (Paragraph 528 a, in Verbindung mit Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

Text

Begründung:

Die Beklagte macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, es fehle eine Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen eine "genehmigungspflichtige 'dauerhafte' Änderung des gesamten 'Tarifgefüges' eines marktbeherrschenden Anbieters für Sprachtelefonie über ein festes Netz im Sinne des Paragraph 18, Absatz 7, TKG vorliegt". Sie verweist darauf, dass sich auch der Verwaltungsgerichtshof bisher nicht mit der Frage befasst habe, ab wann eine Tarifänderung "dauerhaft" sei und wann Änderungen von Einzeltarifen eine Änderung des "gesamten 'Tarifgefüges'" begründeten.

Rechtliche Beurteilung

Richtig ist, dass zur Auslegung des Paragraph 18, Absatz 7, TKG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht. Dadurch wird aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des Paragraph 528, Absatz eins, ZPO begründet, weil die hier maßgebliche Frage - ob die Beklagte mit der Änderung sämtlicher Endkundentarife in der Geschäftszeit, ohne vorher eine Genehmigung der Regulierungsbehörde eingeholt zu haben, gegen Paragraph 18, Ziffer 7, TKG verstoßen hat - schon aufgrund des Gesetzeswortlautes eindeutig beantwortet werden kann:

Paragraph 18, Absatz 7, Satz 1 TKG bestimmt, dass der marktbeherrschende Anbieter von Telekommunikationsdiensten nach der erstmaligen Genehmigung seiner Entgelte weitere Genehmigungen nur "bei einer dauerhaften Änderung des Tarifgefüges" benötigt. Die beabsichtigten Änderungen sind mindestens acht Wochen vor der Änderung der Regulierungsbehörde bekanntzugeben (Paragraph 18, Absatz 7, Satz 2 TKG). Von einer dauerhaften Änderung des „gesamten" Tarifgefüges spricht das Gesetz, anders als die Ausführungen der Beklagten glauben machen, nicht. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Beklagte mit Wirksamkeit vom 1. 7. 2000 sämtliche Endkundentarife in der Österreichzone in der Geschäftszeit ("Peak") um mehr als 50 % auf Dauer gesenkt. Die neuen Tarife sollten jedenfalls bis ins Jahr 2001 angewendet werden. Damit hat die Beklagte, wie das Erstgericht ausdrücklich festgestellt hat, ihre Endkundentarife dauerhaft gesenkt. Mit einer Senkung sämtlicher Endkundentarife in der Geschäftszeit um mehr als 50 % hat die Beklagte das Tarifgefüge geändert, weil sich dadurch der Abstand gegenüber den in der Freizeit gültigen Tarifen drastisch verringert hat und die für die beiden Zeitsparten festgesetzten Tarife einander angenähert wurden. Die Tarifsenkung der Beklagten hat damit die Voraussetzungen für die Genehmigungspflicht nach Paragraph 18, Absatz 7, TKG jedenfalls erfüllt; einer Auseinandersetzung mit der Frage, ab wann eine Tarifänderung "dauerhaft" ist und wann Änderungen von Einzeltarifen eine Änderung des "Tarifgefüges" begründen, bedarf es nicht.

Als weitere erhebliche Rechtsfrage macht die Beklagte geltend, dass die angefochtene Entscheidung der Rechtsprechung zum Wegfall der Wiederholungsgefahr durch Erlangen einer rechtswirksamen Genehmigung widerspreche. Die Beklagte verweist insbesondere auf die Entscheidungen RZ 1989/106, ÖBl 1992, 42 und 4 Ob 193/00m. Gegenstand der Entscheidung 4 Ob 19/89 (teilweise veröffentlicht in RZ 1989/106) war die Durchführung von Flugreisen durch ein Reisebüro, das bei Schluss der Verhandlung erster Instanz eine - die Durchführung von Flugreisen deckende - Vollkonzession erworben hatte; Gegenstand der Entscheidung 4 Ob 73/91 (= ÖBl 1992, 42 - Luftfrachtsendungen) die Erbringung von Speditionsleistungen durch ein Unternehmen, das nicht nur im Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses erster Instanz, sondern schon bei Klageeinbringung eine Gewerbeberechtigung für das Speditionsgewerbe besessen hatte; Gegenstand der Entscheidung 4 Ob 193/00m (= ÖBl 2001, 267 - Einkaufszentrum "U" römisch II) die Benützung eines Gebäudes vor rechtskräftiger Baubewilligung. In all diesen Entscheidungen wurde darauf abgestellt, ob ein Gesetzesverstoß trotz Vorliegens jener Genehmigung, mit deren Fehlen der jeweilige Kläger den Vorwurf sittenwidrigen Handelns im Sinne des Paragraph eins, UWG begründet hatte, für die Zukunft ausgeschlossen oder zumindest äußerst unwahrscheinlich sei. In jenen Fällen, in denen das Begehren darauf gerichtet war, dem Beklagten die Erbringung von Leistungen ohne entsprechende Gewerbeberechtigung zu untersagen, wurde die Wiederholungsgefahr verneint, wenn der Beklagte im maßgebenden Zeitpunkt über die Gewerbeberechtigung verfügte.

Grund für die Verneinung der Wiederholungsgefahr in derartigen Fällen ist die Erwägung, es sei äußerst unwahrscheinlich, dass der Beklagte die Gewerbeberechtigung verlieren und die Tätigkeit dennoch weiter ausüben werde. Soweit das Begehren hingegen darauf gerichtet ist, dem Beklagten die Benützung von Gebäuden zu untersagen, für die noch keine rechtskräftige Baubewilligung besteht, so ist ein künftiger Verstoß nicht schon dann äußerst unwahrscheinlich, wenn der Beklagte im maßgebenden Zeitpunkt über eine Baubewilligung verfügt. In einem solchen Fall ist nicht nur damit zu rechnen, dass der Beklagte die Gebäude weiter benützen werde, sollte die - im konkreten Fall noch vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts anfechtbare - Baubewilligung aufgehoben werden, es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass er auch bei künftigen Baumaßnahmen die Rechtskraft der Baubewilligung nicht abwarten werde.

Es ist daher nicht richtig, dass die Rechtsprechung die Wiederholungsgefahr immer verneinte, wenn der Beklagte die Genehmigung erlangt hat, deren Fehlen den Vorwurf sittenwidrigen Handelns begründet. Die Rechtsprechung stellt vielmehr im Einklang mit den ganz allgemein zum Wegfall der Wiederholungsgefahr entwickelten Grundsätzen darauf ab, ob es wahrscheinlich ist, dass sich der Beklagte auch in Zukunft über die Genehmigungspflicht hinwegsetzen werde, sei es, weil die Genehmigung wieder aufgehoben werden kann, sei es, dass der Beklagte - wie bei der Genehmigungspflicht für bestimmte Tarifänderungen - auch in Zukunft jene Maßnahmen treffen wird, die genehmigungspflichtig sind. Der behauptete Widerspruch der angefochtenen Entscheidung zur Rechtsprechung zum Wegfall der Wiederholungsgefahr besteht daher nicht.

Die angefochtene Entscheidung widerspricht auch nicht der Rechtsprechung zur Fassung von Unterlassungsgeboten. Danach ist bei der Fassung des Unterlassungsgebots die - prozessuale - Frage nach der ausreichenden Bestimmtheit des Begehrens und die - nach dem materiellen Recht zu beurteilende - Frage, wie weit das Gebot angesichts der begangenen oder drohenden Rechtsverletzung gehen darf,

auseinanderzuhalten (4 Ob 17/91 = ÖBl 1991, 105 -

Hundertwasser-Pickerln II; 4 Ob 16/91 = ÖBl 1991, 108 -

Sport-Sonnenbrille). Das Bestimmtheitsgebot folgt aus Paragraph 7, EO; danach darf die Exekution nur bewilligt werden, wenn dem Exekutionstitel nebst der Person des Berechtigten und des Verpflichteten auch Unterlassung, Art, Umfang und Zeit der geschuldeten Leistung oder Unterlassung zu entnehmen sind. Was die Reichweite des Unterlassungsgebots betrifft, so hat der Klageberechtigte einen Anspruch auf Unterlassung solcher Verletzungshandlungen, die vom Beklagten oder einem Dritten in einer dem Beklagten zurechenbaren Weise begangen worden sind. Gegenstand des Urteilsantrags ist daher immer nur die konkrete Verletzungshandlung (4 Ob 17/91 = ÖBl 1991, 105 - Hundertwasser-Pickerln II; 4 Ob 16/91 = ÖBl 1991, 108 - Sport-Sonnenbrille). Aufbauend auf diesen Grundsätzen zur Fassung des Unterlassungsgebots hat die - von der Beklagten in diesem Zusammenhang zitierte - Entscheidung 4 Ob 248/00z (= ÖBl 2001, 169 - Sonnenfinsternisbrille römisch IV) ausgesprochen, dass die an sich wegen der Gefahr von Umgehungen gerechtfertigte weite Fassung von Unterlassungsgeboten nur so weit gehen darf, als die Befürchtung gerechtfertigt ist, der Beklagte werde auch jene Verletzungshandlungen begehen, die unter das weit gefasste Unterlassungsgebot fallen. In diesem Sinn wurde den Bedenken der Lehre gegen eine zu weite Fassung des Unterlassungstitels bei Zugabenverstößen Rechnung getragen und das Unterlassungsgebot in einem Fall, in dem der Beklagte Zugabenverstöße ausschließlich durch kostenlose Sachzugaben begangen hatte, auf derartige Zugaben eingeschränkt.

Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine zu weite Fassung des Unterlassungsgebots, sondern die Beklagte rügt, dass das Gebot unbestimmt sei. Das Unterlassungsgebot umschreibt jedoch genau jene Handlung, die der Beklagten als sittenwidriger Gesetzesverstoß angelastet wird. Die Beklagte hat eine dauerhafte Herabsetzung der Endkundentarife der Österreichzone in der Geschäftszeit angeboten, sie hat dafür geworben und sie hat den Kunden die neuen Tarife verrechnet, ohne über eine Genehmigung der Regulierungsbehörde zu verfügen. Dass nicht näher bestimmt ist, was unter einer „dauerhaften" Herabsetzung der Tarife zu verstehen ist, liegt in der Natur der Sache und steht einer exekutiven Durchsetzung des Unterlassungsgebots nicht entgegen. Bei der Auslegung eines Exekutionstitels sind regelmäßig auch die Gründe heranzuziehen (4 Ob 137/91 = SZ 64/177; 3 Ob 129/98m = MietSlg 50.757 mwN); aus den Gründen aber ergibt sich, dass die Beklagte im Anlassfall die Tarife für die Dauer von mehr als 6 Monaten geändert hatte.