Der Nationalrat hat beschlossen: Der Abschluß des nachstehenden Staatsvertrages samt Anlage wird genehmigt. Die Regierung der Republik Österreich und die Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (im folgenden „Vertragsparteien" genannt) ausgehend von dem Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit Kernanlagen vom 18. November 1982, Kundgemacht in BGBl. Nr. 208/1984 geleitet von dem Wunsche, die gutnachbarlichen Beziehungen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik weiterzuentwickeln, in dem Bestreben, die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und des Schlußdokumentes des Madrider Treffens zu erfüllen, in der Überzeugung, daß ein rechtzeitiger Austausch von Informationen und Erfahrungen über nukleare Sicherheit und Strahlenschutz in bedeutendem Maße zur Sicherheit der Bevölkerung beider Vertragsparteien beitragen kann, in Betracht ziehend das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen Kundgemacht in Bundesgesetzblatt Nr. 186 aus 1988, und das Übereinkommen über Hilfe-

leistung bei nuklearen Unfällen und strahlungsbedingten Notfällen Kundgemacht in Bundesgesetzblatt Nr. 87 aus 1990, sowie auch die anerkannten Grundsätze der Zusammenarbeit im Rahmen der Internationalen Atomenergie-Organisation, sind wie folgt übereingekommen: Artikel 1 1. Bei einem jeden Störfall, der mit den in Absatz 2 genannten Anlagen oder Tätigkeiten zusammenhängt, in dessen Folge es zu einer Freisetzung radioaktiver Stoffe über die gemeinsame Staatsgrenze kommt oder kommen kann, die für die Sicherheit der anderen Vertragspartei vor Strahlungsfolgen von Bedeutung sein könnte, benachrichtigt die Vertragspartei, auf deren Hoheitsgebiet sich der Störfall ereignet hat, unverzüglich die andere Vertragspartei im Wege der Kontaktstellen. 2. Kernanlagen oder Tätigkeiten gemäß Absatz 1 sind a) ein Kernreaktor, b) eine Anlage des Kernbrennstoffkreislaufes, c) eine Anlage zur Behandlung radioaktiver Abfälle, d) die Beförderung und Lagerung von Kernbrennstoffen oder radioaktiven Abfällen und e) die Herstellung, Verwendung, Lagerung, Endlagerung und Beförderung von Radioisotopen für landwirtschaftliche, industrielle, medizinische sowie damit zusammenhängende wissenschaftliche Zwecke und Forschungszwecke. Artikel 2 1. Die Benachrichtigung gemäß Artikel 1 Absatz 1 erfolgt spätestens dann, wenn Maßnahmen zum Schutze der eigenen Bevölkerung eingeleitet werden. 2. Die Vertragsparteien informieren einander im Wege der Kontaktstellen auch über Ereignisse, die nicht einen Störfall im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 darstellen, aber geeignet sind, bei der Bevölkerung einer Vertragspartei Besorgnisse zu erwecken. 3. Jede Vertragspartei teilt unmittelbar nach Inkrafttreten dieses Abkommens der anderen Vertragspartei auf diplomatischem Wege ihre Kontaktstelle mit. 4. Diese Kontaktstellen pflegen unmittelbar nach ihrer Errichtung das Einvernehmen über die genaue Art der Übermittlung von Informationen. Die Funktionsprüfung dieses Übermittlungssystems findet mindestens einmal jährlich statt.

Artikel 3 1. Die Vertragsparteien tragen dafür Sorge, daß die gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens übermittelte Information einen solchen Umfang hat, der es der anderen Vertragspartei ermöglicht, über die Vorbereitung oder Durchführung entsprechender Maßnahmen zum Schutz ihrer Bevölkerung zu entscheiden. Diese Information enthält insbesondere Angaben über a) den Zeitpunkt und, soweit es zweckmäßig ist, den genauen Ort und die Art des nuklearen Unfalls; b) die betroffene Anlage oder Tätigkeit; c) die vermutete oder festgestellte Ursache und die vorhersehbare Entwicklung des nuklearen Unfalls in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung radioaktiver Stoffe; d) die allgemeinen Merkmale der radioaktiven Freisetzung einschließlich, soweit möglich und zweckmäßig, der Art, der wahrscheinlichen physikalischen und chemischen Form und der Menge, Zusammensetzung und effektiven Höhe der radioaktiven Freisetzung; e) Informationen über die derzeitigen und vorhergesagten meteorologischen und hydrologischen Bedingungen, die zur Vorhersage der. grenzüberschreitenden Freisetzung der radioaktiven Stoffe erforderlich sind; f) die Ergebnisse der Umweltüberwachung in bezug auf die grenzüberschreitende Freisetzung der radioaktiven Stoffe; g) die ergriffenen oder geplanten Schutzmaßnahmen außerhalb der betroffenen Anlage; h) die Vorhersage über das Verhalten der radioaktiven Freisetzung im weiteren Verlauf. 2. Die übermittelten Angaben werden entsprechend der weiteren Entwicklung der Situation laufend auf den neuesten Stand gebracht. Weiters werden von der benachrichtigenden Vertragspartei der anderen Vertragspartei auf deren Ersuchen Erläuterungen und Ergänzungen zu den übermittelten Angaben erteilt. 3. Diese Angaben und deren allfällige Ergänzungen werden so lange übermittelt, bis die in Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens erwähnte Situation nicht mehr gegeben ist, oder bis die zur Beurteilung der Sachlage ausreichenden Informationen vorliegen. Artikel 4 1. Falls ein Ereignis gemäß Artikel 1 Absatz 1 dieses Abkommens eintritt, pflegen die Vertragsparteien unverzüglich das Einvernehmen über die notwendige Zusammenarbeit zur Gewährleistung des Schutzes von Gesundheit und Vermögen ihrer Bevölkerung sowie über die mögliche Hilfeleistung. 2. Allfällige weitere Maßnahmen werden von den gemäß Artikel 2 Absatz 3 dieses Abkommens errichteten Kontaktstellen abgesprochen.

Artikel 5 1. Jede Vertragspartei führt auf ihrem Hoheitsgebiet ein Programm zur Messung der ionisierenden Strahlung und der Radionuklide in der Umwelt durch. 2. Das Meßprogramm hat namentlich die Messung der Aktivitätskonzentration beziehungsweise des Radionuklidgehalts in folgenden Substanzen zu enthalten: Luft (auch Aerosole), Trinkwasser, Oberflächenwasser, Boden und Nahrungsmittel. Die Meßergebnisse müssen ausreichende Daten über die externen und internen Strahlenbelastungen der eigenen Bevölkerung enthalten. 3. Die Meßergebnisse werden der anderen Vertragspartei einmal jährlich übermittelt. Bei signifikanten Abweichungen vom Normalzustand werden diese Informationen der anderen Vertragspartei unverzüglich im Wege der Kontaktstellen übermittelt. Auf Ersuchen einer Vertragspartei übermittelt die andere Vertragspartei ergänzende Daten. Artikel 6 1. Die Vertragsparteien informieren einander einmal jährlich über die eigenen Nuklearprogramme, über die aus dem Betrieb von Kernanlagen gewonnenen Erfahrungen und über die Rechtsvorschriften über die nukleare Sicherheit und den Strahlenschutz. 2. Die Vertragsparteien informieren einander auch über ihre bestehenden, in Bau befindlichen und geplanten Kernanlagen im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 Litera a, —, c, dieses Abkommens und stellen einander die in der Anlage zu diesem Abkommen angeführten Angaben zur Verfügung. 3. Die Informationen gemäß Absatz 2 über geplante Kernanlagen werden nach Erteilung der behördlichen Baugenehmigung übermittelt. Über die voraussichtliche Inbetriebnahme der in Bau befindlichen Anlagen informieren sie einander sechs Monate im voraus. Artikel 7 1. Die Vertragsparteien führen einmal jährlich gemeinsame Expertentagungen durch, die insbesondere a) die Durchführung dieses Abkommens bewerten, b) die gemäß Artikel 6 erteilten Informationen erörtern, c) die Ergebnisse des gemäß Artikel 5 dieses Abkommens durchgeführten Meßprogramms auswerten, d) sonstige aktuelle Fragen der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes erörtern.

Ziffer 2 Die Informationen über Inhalt, Verlauf und Ergebnis einer gemeinsamen Expertentagung werden den zuständigen Organen zur Erwägung übermittelt. 3. Über Zeit und Ort der gemeinsamen Expertentagung und die Zusammensetzung der Expertendelegationen wird im Wege der Koordinatoren das Einvernehmen hergestellt. 4. Bei Bedarf können im Einvernehmen der beiden Vertragsparteien zusätzliche Expertentagungen gemäß Absatz 1 abgehalten werden. Artikel 8 1. Zur Durchführung dieses Abkommens wird von jeder Vertragspartei ein Koordinator bestimmt, nämlich a) für die österreichische Seite das Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, b) für die tschechoslowakische Seite die Tschechoslowakische Atomenergiekommission. 2. Die Koordinatoren tragen insbesondere Sorge für a) den Austausch aller Unterlagen und Informationen, die im Rahmen der Zusammenarbeit gemäß Artikel 5 und 6 dieses Abkommens zu übermitteln sind, soweit in Einzelfällen nicht ein besonderer Informationsweg in Betracht kommt, b) die Organisation der gemeinsamen Expertentagungen gemäß Artikel 7 dieses Abkommens. 3. Eine allfällige Änderung in der Bestimmung ihrer Koordinatoren teilen die Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege mit. Artikel 9 Den Inhalt der von der anderen Vertragspartei gemäß den Artikeln 2, 3, 5 und 6 dieses Abkommens erhaltenen Informationen kann jede Vertragspartei zur Informierung der Öffentlichkeit verwenden, soweit sie die andere Vertragspartei nicht als vertraulich erklärt. Artikel 10 Der gegenseitige Informationsaustausch gemäß diesem Abkommen erfolgt kostenlos. Soweit die Beschaffung ergänzender Informationen mit bedeutenden Auslagen verbunden ist, werden diese Auslagen von der ersuchenden Vertragspartei ersetzt. Artikel 11 Jegliche Streitigkeiten betreffend die Auslegung und die Durchführung dieses Abkommens und die Realisierung einer durch dieses Abkommen geregelten Tätigkeit werden durch Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien beigelegt.

Artikel 12 Mit dem Tage des Inkrafttretens dieses Abkommens verliert das am 18. November 1982 in Wien unterzeichnete Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung von Fragen gemeinsamen Interesses im Zusammenhang mit Kernanlagen seine Gültigkeit. Artikel 13 1. Dieses Abkommen unterliegt der Genehmigung nach den Verfassungsvorschriften der Vertragsparteien und tritt mit dem Tage in Kraft, an dem beide Vertragsparteien einander auf diplomatischem Wege bekanntgeben, daß die entsprechenden innerstaatlichen Voraussetzungen für dessen Inkrafttreten erfüllt sind. 2. Die beigeschlossene Anlage ist Bestandteil dieses Abkommens. 3. Dieses Abkommen wird auf unbeschränkte Zeit geschlossen. Es kann von jeder Partei schriftlich auf diplomatischem Wege gekündigt werden. Die Kündigung wird sechs Monate nach Übergabe der diplomatischen Note wirksam. Geschehen zu Wien, am 25. Oktober 1989 in zwei Urschriften, jede in deutscher und tschechischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen authentisch sind. Für die Regierung der Republik Österreich: Mock Für die Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik: Johanes ANLAGE ZUM ABKOMMEN ZWISCHEN DER REGIERUNG DER REPUBLIK ÖSTERREICH UND DER REGIERUNG DER TSCHECHOSLOWAKISCHEN SOZIALISTISCHEN REPUBLIK ZUR REGELUNG VON FRAGEN GEMEINSAMEN INTERESSES IM ZUSAMMENHANG MIT DER NUKLEAREN SICHERHEIT UND DEM STRAHLENSCHUTZ Zu Artikel 6, Absatz 2 des Abkommens werden folgende Angaben übermittelt: — Name der Anlage — Ort und Adresse der Anlage — Betreiber — Zweck — grundlegende technische Daten der Anlage — gegenwärtiger Status — Betriebsdaten — grundlegende Beschreibung des Ortes der Anlage.

Zu den kernenergetischen Reaktoren werden darüber hinaus insbesondere folgende Angaben angeführt: — Reaktortyp — Leistung — Spaltzone (zB Geometrie, Brennstoff, Beladung, Anreicherung, Abbrand, Leistungsdichte) — Reaktorgefäß — Kühlmittel und Kühlkreisläufe (primär und sekundär) des Reaktors — Dampferzeuger — zulässige Werte und Bedingungen für die Abgaben radioaktiver Stoffe in die Umwelt, zulässige Werte und Bedingungen für die Lagerung radioaktiver Abfälle und Bedingungen für die Manipulation mit abgebranntem Kernbrennstoff — Systeme zur Gewährleistung der nuklearen Sicherheit mit Ausnahme der Systeme des physischen Schutzes. Die Mitteilungen gemäß Artikel 13, Absatz eins, des Abkommens erfolgten am 23. Jänner bzw. 23. Juli 1990; das Abkommen ist gemäß seinem Artikel 13, Absatz eins, mit 23. Juli 1990 in Kraft getreten.

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