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Entscheidungstext 2Ob227/12i

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Fundstelle

Zak 2013/258 S 141 - Zak 2013,141

Geschäftszahl

2Ob227/12i

Entscheidungsdatum

14.03.2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R***** B*****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. Ing. A***** L*****, und 2. A*****AG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Weinzettl, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, wegen 122.405,34 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 5.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen sämtlicher Parteien gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. September 2012, GZ 13 R 104/12b-96, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

römisch eins. Zur Revision der beklagten Parteien:

Der aus der Schutznorm des Paragraph 20, Absatz eins, StVO abgeleitete Grundsatz des Fahrens auf Sicht bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker seine Fahrgeschwindigkeit so zu wählen hat, dass er sein Fahrzeug beim Auftauchen eines Hindernisses rechtzeitig zum Stehen bringen oder zumindest das Hindernis umfahren kann (RIS-Justiz RS0074750). Jeder Kraftfahrer muss daher seine Fahrweise so gestalten, dass der Weg des abzubremsenden Fahrzeugs in der Zeit vom Erkennen eines Hindernisses auf der Fahrbahn bis zum vollen Stillstand des Fahrzeugs nie länger als die durch ihn eingesehene Strecke ist. Diese Pflicht besteht auch auf Autobahnen (2 Ob 65/05f mwN; 2 Ob 148/08s; 2 Ob 32/10k; RIS-Justiz RS0074680).

Dem Erstbeklagten, der auf der Südautobahn auf der nach Wien führenden Richtungsfahrbahn in einer „geschlossenen“ Kolonne fuhr, wurde nach dem Fahrstreifenwechsel eines Kastenwagens vorübergehend die Sicht auf das sich vor diesem entwickelnde Verkehrsgeschehen genommen. Dennoch behielt er seine Fahrgeschwindigkeit von ca 70 km/h bei. Als er nach einem weiteren Fahrstreifenwechsel des Kastenwagens wieder Sicht auf das Klagsfahrzeug erlangte, wurde dieses wie auch dessen Vorderfahrzeuge gerade zum Stillstand gebracht. Trotz einer sofort eingeleiteten Vollbremsung vermochte der Erstbeklagte seine Geschwindigkeit bis zum Anstoß auf das Klagsfahrzeug nur noch auf 30 km/h zu vermindern. Hätte er bereits auf den ersten Fahrstreifenwechsel des Kastenwagens mit einer geringfügigen Geschwindigkeitsreduktion reagiert, wäre es ihm möglich gewesen, eine ausreichende Sichtstrecke aufzubauen und den Unfall zu verhindern.

Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es bei dieser Sachlage - wenngleich unter dem Aspekt des Paragraph 18, StVO - zu der Auffassung gelangte, dass den Erstbeklagten das Verschulden an dem Auffahrunfall traf. Diese Rechtsansicht hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und ist jedenfalls vertretbar.

Die außerordentliche Revision der beklagten Parteien ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückzuweisen.

römisch II. Zur Revision des Klägers:

1. Anscheinsbeweis:

1.1 Der Geschädigte hat neben dem Eintritt des Schadens auch den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens zu beweisen. Der Kausalzusammenhang kann Gegenstand eines Anscheinsbeweises sein vergleiche 3 Ob 45/88; 2 Ob 119/88; 2 Ob 131/03h; 2 Ob 97/11w; RIS-Justiz RS0022664, RS0022782). Dieser beruht auf der Annahme, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es daher wahrscheinlich ist, dass auch im konkreten Fall ein derartiger gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (10 Ob 66/09t; 4 Ob 145/10t; RIS-Justiz RS0040266).

1.2 Das Berufungsgericht hat aufgrund der (dislozierten) erstinstanzlichen Feststellung, es gebe keinen einzigen wissenschaftlichen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einem bei einem Auffahrunfall erlittenen HWS-Syndrom und einer nachfolgenden Schultersteife („Frozen Shoulder“) den Schluss gezogen, dass ein typischer Geschehensablauf auszuschließen sei. Fehlt es aber schon an einer typischen formelhaften Verknüpfung zwischen der tatsächlich bewiesenen Tatsache (Unfall, HWS-Syndrom, Schultersteife) und dem gesetzlich geforderten Tatbestandselement (Kausalzusammenhang), liegen schon die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises nicht vor vergleiche 2 Ob 64/90; 10 ObS 97/01i; 7 Ob 128/02b; RIS-Justiz RS0040287). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Verursachungsmöglichkeiten offen lässt, gibt für den Beweis des ersten Anscheins keinen Raum (2 Ob 119/88; 10 Ob 66/09t).

1.3 Das Berufungsgericht hat somit (im Ergebnis) schon die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises verneint. Ob ein Anscheinsbeweis zulässig ist, ob es sich also um einen Tatbestand mit typischem Geschehensablauf handelt, der eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast ermöglicht, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0022624, RS0040196), deren Lösung im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zukommt (2 Ob 167/07h mwN).

Der Kläger vermag in seinem Rechtsmittel keine Gründe zu nennen, die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts für die Typizität des von ihm behaupteten Geschehensablaufs sprechen würden:

1.3.1 Die gewünschte zusätzliche Feststellung, es sei „aus orthopädischer Sicht“ nicht auszuschließen, „dass die durch den gegenständlichen Unfall verursachte HWS-Zerrung bzw das unfallskausale Trauma im Bereich der unteren Halswirbelsäule, allenfalls verbunden mit den erwähnten prädisponierenden Faktoren, unfallskausal für das 'Frozen-Shoulder-Syndrom'“ gewesen sei, reicht - ebenso wie die begehrten Folgefeststellungen - für die Annahme eines typischen, auf allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen beruhenden Geschehensablaufs nicht aus.

1.3.2 Die für die Beweislast bei ärztlichen Behandlungsfehlern entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0038222, RS0106890) sind hier nicht anwendbar, weil ein Behandlungsfehler nicht vorliegt.

1.3.3 Nach der Rechtsprechung genügt es zwar, dass „überwiegende Gründe“ für die Verursachung des Schadens sprechen. Dies betrifft jedoch bereits die Frage, ob der (zulässige) Anscheinsbeweis erbracht worden ist vergleiche 7 Ob 255/07m; 4 Ob 145/10t; 2 Ob 97/11w; RIS-Justiz RS0022782).

Die Überlegungen des Klägers zum hierfür erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad (seiner Ansicht nach soll schon „bloße Wahrscheinlichkeit“ reichen) erübrigen sich daher, wenn der Anscheinsbeweis gar nicht zulässig ist.

1.4 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die Verneinung der Typizität des Geschehensablaufs, damit aber auch der Zulässigkeit des Anscheinsbeweises durch das Berufungsgericht im konkreten Einzelfall vertretbar ist und die Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO nicht erfüllt.

2. Feststellungsbegehren:

Der Kläger geht in seinem Rechtsmittel fälschlich davon aus, dass das Berufungsgericht das Feststellungsbegehren zur Gänze abgewiesen hat. Tatsächlich wurde es aber nur „zur Hälfte“ abgewiesen, wie sich aus dem Spruch der angefochtenen Entscheidung unmissverständlich ergibt. Die auf einer Fehlinterpretation dieses Ausspruchs beruhenden Revisionsausführungen bedürfen keiner weiteren Erwiderung.

Schlagworte

Zivilverfahrensrecht,Gruppe: Verkehrsrecht,Verkehrsopfergesetz

Textnummer

E103432

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2013:0020OB00227.12I.0314.000

Im RIS seit

26.03.2013

Zuletzt aktualisiert am

15.05.2013

Dokumentnummer

JJT_20130314_OGH0002_0020OB00227_12I0000_000

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