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Entscheidungstext 10ObS178/10i

Gericht

OGH

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Rechtsgebiet

Zivilrecht

Geschäftszahl

10ObS178/10i

Entscheidungsdatum

01.03.2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Irene Kienzl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8011 Graz, Josef-Pongratz-Platz 1, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Oktober 2010, GZ 8 Rs 152/10z-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Juni 2010, GZ 29 Cgs 35/10d-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Revision der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezog von der beklagten Partei in der Zeit vom 14. 7. 2008 bis 17. 1. 2010 Kinderbetreuungsgeld für ihre am 18. 5. 2008 geborene Tochter Nadine. Mit ihrem Arbeitgeber hatte sie Karenzurlaub bis 17. 1. 2010 vereinbart. Sie wurde abermals schwanger. Unter der (seinerzeitigen) Annahme, dass die Klägerin am 28. 3. 2010 neuerlich entbindet, begann die achtwöchige Schutzfrist am 31. 1. 2010. Die Klägerin gab ihrem Dienstgeber die Verlängerung ihres Karzenurlaubs bis zum 30. 1. 2010 bekannt.

Mit Bescheid vom 5. 2. 2010 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 5. 1. 2010 auf Zahlung von Wochengeld aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft für den in § 162 Abs 1 ASVG genannten Zeitraum mit der Begründung ab, dass diese durch die Bekanntgabe der Verlängerung des Karenzurlaubs und die gewollte Nichtwiederaufnahme der Beschäftigung vom Schutzzweck des § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG ausgeschlossen sei. Ein Leistungsanspruch nach § 122 Abs 3 ASVG sei nicht gegeben, weil die Klägerin von sich aus, unmittelbar im Anschluss an einen Zeitraum des Bezugs vom Kinderbetreuungsgeld, ihre vorherige Beschäftigung nicht wieder aufgenommen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da bei der Klägerin am 17. 1. 2010 der Bezug des Kinderbetreuungsgeldes und die Pflichtversicherung geendet haben, sei sie beim Eintritt des Versicherungsfalls der Mutterschaft nicht krankenversichert gewesen und habe daher weder nach § 122 Abs 1 ASVG noch nach § 122 Abs 2 ASVG Anspruch auf Wochengeld. Es bestehe aber auch kein Anspruch nach § 122 Abs 3 ASVG. Zwar sei bei der Klägerin zu Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalls eine Pflichtversicherung vorgelegen. Die Klägerin habe aber durch die Bekanntgabe der Verlängerung des Karenzurlaubs nach dem Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs von sich aus die Arbeit nicht wieder aufgenommen. Damit liege ein Anwendungsfall des zweiten Teils des zweiten Satzes des § 122 Abs 3 ASVG vor, welcher dazu führe, dass aufgrund eines der Klägerin zuzurechnenden Verhaltens der an sich ausnahmsweise gegebene Leistungsanspruch doch wieder wegfalle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 10 ObS 125/08t den Anspruch auf Wochengeld dann verneint, wenn eine Dienstnehmerin nach Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs auf ihre Initiative in eine freiwillige Karenz mit Entfall der Bezüge getreten sei. Als entscheidend sei erachtet worden, dass aufgrund eines der Versicherten zuzurechnenden Verhaltens der an sich ausnahmsweise gegebene Leistungsanspruch doch wieder wegfalle. Aus dieser Entscheidung lasse sich ableiten, dass die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, unmittelbar nach dem Ende des Kinderbetreuungsgeldbezugs ihre vorherige Beschäftigung wieder aufzunehmen, um ihren Wochengeldanspruch für eine nachfolgende Geburt zu erhalten. Dass dieses Ergebnis vom Gesetzgeber als nicht mehr sozialpolitisch wünschenswert angesehen werde, ergebe sich aus der vorgesehenen Novellierung des § 122 Abs 3 ASVG, sei aber für die derzeitige Rechtslage noch nicht maßgeblich. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die bereits vorliegende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 10 ObS 125/08t nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei erstattete - trotzdem ihr die Beantwortung der Revision freigestellt worden war - keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil sich der vorliegende Sachverhalt wesentlich von dem der Entscheidung 10 ObS 125/08t zu Grunde liegenden Sachverhalt unterscheidet. Sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Die Klägerin macht in ihrer außerordentlichen Revision zusammengefasst geltend, dass in der Entscheidung 10 ObS 125/08t eine einvernehmliche Karenzierung außerhalb des Karenzurlaubsanspruchszeitraums gemäß § 15 MSchG zu beurteilen war. Im vorliegenden Fall gehe es jedoch um die Vereinbarung eines Karenzurlaubs innerhalb des zweijährigen Karenzurlaubsanspruchs nach § 15 MSchG. Die Vereinbarung eines Karenzurlaubs nach § 15 MSchG könne aber - ebenso wie ein Mutterschaftsaustritt - nicht zu einer Vorwerfbarkeit gegenüber der Klägerin führen und stelle keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG dar.

Diesen Ausführungen der Klägerin kommt Berechtigung zu.

Der jüngst ergangenen Entscheidung 10 ObS 136/10p vom 30. 11. 2010 lag - ebenfalls wie im hier zu beurteilenden Fall - zu Grunde, dass die Klägerin den ihr vom Gesetz (§ 15 MSchG) eingeräumten zweijährigen Karenzurlaub in Anspruch genommen hat. In dieser Entscheidung wurde mit ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Vereinbarung eines Karenzurlaubs nach § 15 MSchG - ebenso wie ein Mutterschaftsaustritt - keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation iSd § 122 Abs 3 Satz 2 zweiter Fall ASVG darstellt. Es wurde ausgeführt, dass der Gesetzgeber in § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG zwei verschiedene Fälle geregelt habe. Im ersten Fall falle die Ausdehnung des Versicherungsschutzes weg, wenn das Arbeitsverhältnis, das die Pflichtversicherung begründet hatte, auf bestimmte Art beendet werde. Das Gemeinsame der genannten „schädlichen“ Auflösungsarten liege darin, dass die Auflösung der Arbeitnehmerin zuzurechnen sei (unberechtigter vorzeitiger Austritt, verschuldete Entlassung, Kündigung durch die Arbeitnehmerin) oder sie durch Herstellung des Einvernehmens mit dem Arbeitgeber über die Auflösung daran mitwirke. Umgekehrt bleibe die Anspruchsberechtigung bei einer nicht der Versicherten zuzurechnenden Auflösung des die Pflichtversicherung begründenden Arbeitsverhältnisses aufrecht. Im zweiten Fall des § 122 Abs 3 Satz 2 ASVG werde die Beschäftigung „aus einem dieser Gründe“ nicht wieder aufgenommen. Diese Wortfolge sei im Sinn von Fällen zu interpretieren, in denen das Arbeitsverhältnis zwar nicht aufgelöst, aber eine insoweit vergleichbare Konstellation vorliege, also aufgrund eines der Versicherten zuzurechnenden Verhaltens der an sich ausnahmsweise gegebene Leistungsanspruch doch wieder wegfalle. Der Gesetzgeber bringe zum Ausdruck, dass der Anspruch auf Versicherungsschutz nicht durch jegliche Karenzierung, sondern nur durch Karenzierungen, die eines gesetzlich anerkannten Grundes entbehren, verloren gehe. Nach der Absicht des Gesetzgebers dürfe eine Arbeitnehmerin, um ihren Wochengeldanspruch für eine nachfolgende Geburt zu erhalten, das Arbeitsverhältnis nicht aus einem der „schädlichen“ Gründe beenden und müsse ihre vorherige Beschäftigung unmittelbar nach Ablauf der Karenz nach § 15 MSchG wieder aufnehmen. Eine Karenz im Rahmen des § 15 MSchG stelle aber jedenfalls einen rechtlich anerkannten Grund für das Aussetzen der Hauptleistungsverpflichtung innerhalb eines Arbeitsverhältnisses dar, weshalb eine iSd § 15 MSchG karenzierte Arbeitnehmerin ihren Anspruch auf Wochengeld nicht verlieren solle.

Diese Ausführungen treffen auf den vorliegenden Fall zu:

Auch im vorliegenden Fall hat die Klägerin bei der Bekanntgabe der Verlängerung ihres Karenzurlaubs lediglich den ihr vom Gesetz (§ 15 MSchG) eingeräumten zweijährigen Karenzurlaub in Anspruch genommen. Für die Karenzierung nach dem 17. 1. 2010 lag demnach ein gesetzlich anerkannter Grund vor. Die Vereinbarung bzw Bekanntgabe dieses Karenzurlaubs nach § 15 MSchG stellt demnach keine „schädliche“ Auflösungsart iSd § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation iSd § 122 Abs 3 Satz 2 zweiter Fall ASVG dar. Dass die Klägerin wegen Inanspruchnahme ihres gesetzlichen Karenzurlaubsanspruchs ihre vorherige Beschäftigung nicht wieder aufgenommen hat, verwirklicht daher keinen Fall des § 122 Abs 3 Satz 2 erster Fall ASVG bzw keine vergleichbare Konstellation.

Aufgrund dieser Erwägungen steht der Klägerin ein Wochengeldanspruch aus dem bei ihr neuerlich eingetretenen Versicherungsfall der Mutterschaft zu.

Die Tatsacheninstanzen haben aber keine Feststellungen getroffen, aus denen sich die Höhe des gebührenden täglichen Wochengeldes errechnen ließe. Das Erstgericht wird deshalb im fortzusetzenden Verfahren mit den Parteien die Höhe des Wochengeldanspruchs zu erörtern haben.

Es war daher in Stattgebung der Revision der Klägerin die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt hinsichtlich der Revisionskosten der Klägerin beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Schlagworte

12 Sozialrechtssachen,

Textnummer

E96718

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2011:010OBS00178.10I.0301.000

Im RIS seit

06.04.2011

Zuletzt aktualisiert am

06.04.2011

Dokumentnummer

JJT_20110301_OGH0002_010OBS00178_10I0000_000

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