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Entscheidungstext Bsw22714/93

Gericht

AUSL EGMR

Dokumenttyp

Entscheidungstext

Fundstelle

NL 1997,221

Geschäftszahl

Bsw22714/93

Entscheidungsdatum

29.08.1997

Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Worm gegen Österreich, Urteil vom 29.8.1997, Bsw. 22714/93.

Spruch

Paragraph 23, MedienG, Paragraph 35, MedienG, Artikel 10, EMRK, Artikel 26, EMRK - Verbotene Einflußnahme auf ein Strafverfahren und Artikel 10, EMRK.

Keine Verletzung von Artikel 10, EMRK (7:2 Stimmen).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Der Bf., ein österr. Journalist, berichtete 1991 im Nachrichtenmagazin "Profil" über einen Prozess gegen den früheren Finanzminister Hannes Androsch, der wegen Steuerhinterziehung angeklagt war. Der Artikel enthielt ua. folgende Passage:

"Der Geldfluß der sieben Schwarzgeldkonten läßt keine andere Auslegung als die der Steuerhinterziehung durch Androsch zu. Dessen Verantwortung vor Gericht war - nach so vielen Jahren hätte man sich zumindest zurechtgezimmerte Argumente erwartet - blamabel."

Der Bf. wurde daraufhin wegen verbotener Einflussnahme auf ein Strafverfahren nach Paragraph 23, MedienG angeklagt. Das Verfahren endete mit einem Freispruch. Der Staatsanwalt erhob dagegen Berufung. Das OLG Wien verurteilte den Bf. zu einer Geldstrafe, da der Artikel geeignet war, die Laienrichter des Erstgerichtes zu beeinflussen.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 10, EMRK (Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung).

Die Reg. wendet ein, der Bf. habe die Kms. entgegen der Bestimmung des Artikel 26, EMRK nicht innerhalb von 6 Monaten nach Ergehen der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung befasst.

Festgestellt wird, dass diese Frist dann überschritten wäre, wenn sie ab Verkündung des letztinstanzlichen Urteils berechnet würde. Da jedoch das innerstaatlichen Recht eine Zustellung des Urteils vorsieht, kommt es für die Berechnung der Sechsmonatsfrist auf das Datum der Zustellung an.

Zur behaupteten Verletzung von Artikel 10, EMRK:

Ist der Eingriff gesetzlich vorgesehen?

Unstrittig ist, dass die Verurteilung des Bf. einen Eingriff in das Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung darstellt. Rechtsgrundlage dieser Verurteilung war Paragraph 23, MedienG. Der Eingriff ist somit vom Gesetz vorgesehen iSd. Artikel 10, (2) EMRK.

Verfolgt der Eingriff ein legitimes Ziel?

Der Eingriff zielte darauf ab, Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung aufrechtzuerhalten. Unstrittig ist, dass dies ein legitimes Ziel iSd. Artikel 10, (2) EMRK darstellt.

War dieser Eingriff zur Erreichung dieses Ziels in einer demokratischen Gesellschaft notwendig?

Obwohl die Grenzen eines zulässigen Werturteils bei Personen des öffentlichen Lebens (public figures), insb. bei Politikern, weiter gesteckt werden als bei Privatpersonen, gelten auch für erstere die Garantien eines fairen Verfahrens. Die Verurteilung des Bf. richtete sich nicht gegen sein Recht, in einer objektiven Art und Weise über das Verfahren zu berichten, sondern gegen die in seinem Artikel vorgenommene Wertung der Aussagen Androschs vor Gericht. Insb. die Wortfolge "...läßt keine andere Auslegung als die der Steuerhinterziehung durch Androsch zu" (siehe oben) weist auf die klar vorgefasste Meinung des Bf. hin, Androsch sei tatsächlich schuldig, die ihm vorgeworfenen Delikte begangen zu haben.

Allein durch die Wortwahl wurde dem Leser der Eindruck vermittelt, das Gericht hätte keine andere Möglichkeit, als Androsch zu verurteilen. Weiters war der Artikel nicht ungeeignet, zumindest die Laienrichter im Verfahren gegen Androsch zu beeinflussen. Die berechtigten Interessen des Bf. und der Öffentlichkeit, iSv. Artikel 10, (1) EMRK Nachrichten oder Ideen von öffentlichem Interesse mitzuteilen bzw. zu empfangen, überwiegen nicht jene durch die Veröffentlichung des Artikels ausgelösten Folgen für die Autorität und Unabhängigkeit der Rechtsprechung.

Unter Berücksichtigung der Höhe der verhängten Geldstrafe und der Tatsache, dass für diese gemäß Paragraph 35, MedienG der Bf. und der Medieninhaber zur ungeteilten Hand haften, wird die Sanktion nicht für unverhältnismäßig erachtet. Die Verurteilung und das Strafausmaß werden daher als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen.

Keine Verletzung von Artikel 10, EMRK (7:2 Stimmen; Sondervoten der Richter Casadevall und Jungwiert).

Anmerkung, Vgl. die vom GH zitierten Fälle Sunday Times (No. 1)/GB, Urteil v. 26.4.1979, A/30 und Lingens/A, Urteil v. 8.7.1986, A/103.

Anmerkung, Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 23.11.1996 vergleiche NL 96/4/5) eine Verletzung von Artikel 10, EMRK festgestellt (18:11 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 29.8.1997, Bsw. 22714/93, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 221) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/97_5/Worm.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Textnummer

EGM00151

Im RIS seit

03.04.2017

Zuletzt aktualisiert am

12.04.2017

Dokumentnummer

JJT_19970829_AUSL000_000BSW22714_9300000_000

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